Humanexperimente in Konzentrationslagern

1. Einleitung

Die typische ärztliche Tätigkeit in einem Konzentrationslager bestand in der Betreuung der Wachmannschaften, sowie in der Versorgung und Aufsicht der Häftlinge, jedoch waren die bereitgestellten Mittel zur Versorgung unzureichend und minimal. Das Hauptanliegen vieler Ärzte bestand deshalb in der Vermeidung der Ausbreitung von Krankheiten und in der raschen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Erkrankten. Unter den Ärzten herrschte eine Geringschätzung des menschlichen Lebens, da sie selbst schwerste körperliche Misshandlungen und Tötungen durchführten. Mit dem Beginn des Aggressionskrieges gegen die UdSSR verschärfte sich das Tätigkeitsspektrum der "Ärzte", welche nun Selektionen der eintreffenden Transporte, Aufsichten über Vergasungen und Auswahl der Häftlinge für Experimente durchführten, wobei oft jegliche ethischen und moralischen Vorsätze immer mehr in Vergessenheit gerieten.

Charakteristisch für die medizinischen Experimente, die an Häftlingen vorgenommen wurden, waren folgende Punkte:

  • Versuche wurden ohne Aufklärung und Einverständnis des Probanden vorgenommen
  • Risiko des Todes oder schwerwiegender Schäden wurde von Beginn an in Kauf
  • genommen
  • keine wissenschaftliche Begründung und Gestaltung der Versuche
  • hygienische Zustände und gesundheitliche Einschätzungen wurden außer Acht gelassen
  • Experimente wurden durchgeführt, obwohl bereits sichere wissenschaftliche Erkenntnisse vorlagen
  • ausgeprägte Skrupellosigkeit in der Wahl der Methoden
  • Fehlen jeglicher Art von Fürsorge oder Nachbetreuung

2. Fleckfieberversuche in Buchenwald

Prof. Gildemeister (Präsident Robert-Koch-Institut Berlin):
"Da der Tierversuch keine ausreichende Wertung von Fleckfieberimpfstoff zulässt, müssen die Versuche am Menschen durchgeführt werden."

Bis Ausgang des Jahres 1944 fanden 24 Versuchsreihen mit wechselnder Personenzahl, meist 40 - 60 Menschen in einer
Gruppe, statt. Mit der Ausführung der Experimente wurde SS-Sturmbannführer Dr. Ding-Schuler beauftragt. Der Fleckfieberimpfstoff hatte verschiedene Herkunftsorte. Hergestellt wurde er aus:

- Hühnereidottersackkulturen (Behringwerke)
- Läusedärme (Krakau)
- Kaninchenlungen (Institut-Pasteur, Paris)
- Hundelungen/Mäuseleber (Robert-Koch-Institut, Berlin)

Auf der Versuchsstation (Block 46) wurden ca. 1.000 Versuchspersonen auf folgende Art "behandelt": Es wurden 3 Gruppen gebildet, welche alle mit Fleckfiebererregern infiziert wurden. Die 1. Gruppe blieb anschließend unbehandelt, während die 2. Gruppe den zu überprüfenden Impfstoff verabreicht kam. Die 3. Gruppe galt als "Passage"-Gruppe, was bedeutete, dass sie Fleckfiebererregerstämme injiziert bekamen, um sie für weitere Versuche mit Krankenfrischblut verfügbar zu machen. Die Erreger wurden direkt in den Muskel, unter die Haut, durch Hautabschürfungen (mittels Impflanzette) oder intravenös eingespritzt. Folgen waren, dass fast alle aus der Gruppe 1 und 2 starben. Alle anderen behielten trotz Impfung schwere gesundheitliche Schäden, dauernde Herzschwäche, Verlust des Gedächtnisses oder Lähmungen zurück. Die zur Laborarbeit gezwungenen Häftlinge (meist politische) standen unter ständiger Infektionsgefahr, waren aber materiell bevorzugt, das heißt, sie hatten ein eigenes Bett, frische Bettwäsche und "Gefahrenzulage" in Form von 80g Zucker, 64g Fett, 400g Brot wöchentlich mehr und wenn sie es nicht ablehnten, bekamen sie das auf 120 Grad erhitzte Fleisch des fleckfieberinfizierten Kaninchens, die nach Herausnahme der Lunge hätten verbrannt werden sollen. Der wissenschaftliche Wert dieser Fleckfieberexperimente lag bei Null oder war sehr gering, da die Infektionsverfahren irrsinnig waren, da viel zu hohe Konzentrationen an Erregern verwendet wurden und dieses nicht der Realität entsprechen konnte.

3. Sulfonamid Versuche in Ravensbrück

Die pseudomedizinischen Experimente im KZ Ravensbrück fanden unter der Leitung des Chirurgen Karl Gebhardt statt (Aufnahme von 1935). Der SS-Brigadeführer und Jugendfreund Himmlers leugnete nach dem Krieg vor Gericht, dass es sich bei den Gasbrand-Experimenten um Menschenquälerei gehandelt habe. - Bundesarchiv: Bild 183-1986-0428-502

Diese Experimente wurden von Juli 1942 bis September 1943 durchgeführt. Anlass dafür war der Tod des Leiters des Reichssicherheitshauptamtes, R. Heydrich, der Verletzungen eines Attentates erlag und angeblich! keine intensive Behandlung mit Sulfonamiden (chemotherapeutisches Arzneimittel gegen Infektionskrankheiten) bekommen hatte.
So wurde der Auftrag zur Überprüfung der therapeutischen Wirksamkeit an Häftlingen eines Konzentrationslagers in die Hände von Prof. Dr. Karl Gebhardt und seinen Assistenten Dr. Fischer und Dr. Oberheuser gegeben. Versuchspersonen (meist polnische Frauen) wurden absichtlich Wunden zugefügt, in die Staphylokokken, Gasbrandbazillen, Tetanusbazillen und Erreger-Mischkulturen injiziert wurden. Es wurden Einschnitte in den Unterschenkel der Frauen, die oft bis zum Knochen gingen, vorgenommen und um die Infektion zu verstärken, wurden Holzspäne und pulverisierte Glasscherben gewaltsam in die Wunde gebracht. Nach der Setzung der künstlichen Infektion begann die Behandlung mit Sulfonamid, wobei die Betroffenen Personen oft qualvolle Schmerzen erleiden mussten bis eine eventuelle Verbesserung eintrat, was jedoch in den seltensten Fällen eintrat. So blieben oft, beim tatsächlichen Überleben, schwere Schädigungen zurück. Es wurden keine neuen wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen, da Gerhard Domayk bereits den Nobelpreis 1939, für die Entdeckung und Erforschung des Sulfonamides erhalten hat und 1942 differenzierte Einsichten über die Wirkungen (einschließlich Nebenwirkungen) von Sulfonamiden vorlagen.

4. Höhendruck- und Unterwasserversuche in Dachau

Experimente mit Menschen: Im Konzentrationslager Dachau beobachten die beiden Ärzte Ernst Holzlöhner (links) und Sigmund Rascher einen KZ-Häftling, der in einem Becken mit eiskaltem Wasser liegt. Es sollte getestet werden, wie lange ein Pilot nach einem Absturz über Meer im kalten Wasser überleben kann.

Dr. Sigmund Rascher (Stabsarzt der Luftwaffe) wurde mit dem Versuch beauftragt, die Reaktions- und Lebensfähigkeit des Menschen in großen Höhen, bei raschem Aufstieg (bis 20 km und mehr), sowie beim plötzlichen Fall aus großer Höhe, festzustellen. Unterdruckkammern der Luftwaffe wurden nach Dachau gebracht und zwischen Block 5 und den danebenliegenden Baracken vollkommen isoliert. Der Versuchswagen, "Himmelfahrtswagen" genannt, beinhaltete Druck-, Temperatur- und Höhenmessgeräte, womit man auch einen plötzlichen Druckabfall, Sauerstoffentzug und schwerste physische Belastungen auf den Probanden ausüben und messen konnte. 70 - 80 (von 200) Personen starben während des Versuches. Nach Eintreten des Todes wurden die Opfer sofort seziert, wobei Rascher einmal feststellte, dass das Herz bei der Sektion noch schlug, was er sofort ausnutzte und eine Reihe von tödlichen Sonderversuchen unternahm, um zu erfahren, wie lange ein menschliches Herz, nach der Tötung noch "rege" sei. Die ersten Versuche wurden an Häftlingen des Arbeitseinsatzbüros, später an Neuankömmlingen unternommen. Diese Experimente waren sehr unwissenschaftlich, da oft nur äußerlich erkennbare Reaktionen und Symptome beschrieben wurden und unqualifizierte Sektionen durchgeführte wurden. Aufschlüsse über physiologische Bedingungen und mögliche Schutzmaßnahmen wurden nicht gewonnen

Prof. Dr. Holzlöhner und Dr. Rascher erhielten am 8. Oktober den Auftrag: "Die Wirkung der Abkühlung auf den Warmblüter" zu untersuchen, um in Seenot geratenen Fliegern besser helfen zu können. Die Experimente vollzogen sich in 2 Perioden:

1. Periode: Die Versuchspersonen wurden bekleidet oder nackt in kaltes Wasser von 4 - 9 Grad gelegt, bis sie erstarrten. (Messungen der Temperatur erfolgte thermoelektrisch rektal) (Zahl der Versuchspersonen 50 - 60, Todesopfer: 15-18)

2. Periode: Rascher wendete noch zusätzlich andere Methoden a: Häftlinge wurden nackt bei 20 - 25 Grad minus stündlich mit Wasser überschüttet und die Nacht ins Freie gelegt. Da die Schreie der Häftlinge Unruhe hervorrief, wurden sie schließlich narkotisiert (Zahl der Versuchspersonen 220-240 Mann, von November 1942 bis Mai 1943, Todesopfer 65-70).

5. Sterilisationsversuche in Auschwitz

Drei verschiedene Versuchsreihen hat die SS- Führung in Gang gebracht, um ein Verfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe man unauffällig, rasch und nachhaltig große Menschenmassen sterilisieren konnte.

1.Versuch
Dieser gründet auf der Veröffentlichung von tierexperimentellen Ergebnissen (Firma Madaus & Co, Dresden - Radebeul) mit dem Extrakt der südamerikanischen Schweigrohrpflanze (Caladium seguinum), die die Tiere unfruchtbar werden ließ.
Dr. Fehringer und Dr. Adolf Pokorny wurden veranlasst:
- keine Publikationen über Experimente anzufertigen
- Vermehrung der Pflanze in Gewächshäusern
- sofortige Versuche an Menschen (Verbrechern!) um Dosis und die Dauer der
Behandlung feststellen zu können
- rasche Ergründung des Wirkstoffes
- synthetische Herstellung
Es traten aber enorme Schwierigkeiten, die Pflanze auf deutschen Boden zu züchten, auf, so dass diese Methode zum Erlahmen kam.

2. Versuch
Dr. Horst Schuhmann beschäftigte sich, nachdem die Vergasung von Geisteskranken seine Zeit nicht mehr ausfüllte, mit der Einwirkung der Röntgenstrahlen auf menschliche Keimdrüsen. Himmler unterstützte persönlich seine Pläne durch die
"Zurverfügungstellung" der entsprechenden "Materialien" im Konzentrationslager Auschwitz. Schuhmann holte sich arbeitsfähige Juden im Alter von 20 - 24 Jahren und setzte sie an den Geschlechtsteilen 15 Minuten der Wirkung der Strahlen aus, wobei sie anschließend wieder arbeiten geschickt wurden. Verbrennungen und Vereiterungen waren oft die Folge. Nach 2 bis 4 Wochen wurde das Opfer kastriert, um die Hoden sezieren und mikroskopisch untersuchen zu können. Es sind keine Angaben bekannt, wie viele Menschen qualvoll umgekommen sind.

SS-Brigadeführer Prof. Dr. Clauberg

3. Versuch
1942 wurde dem SS-Brigadeführer Prof. Dr. Clauberg durch Himmler und Obergruppenführer Glück das Konzentrationslager Auschwitz für seine Lösung der Judenfrage zur Verfügung gestellt.
Bereits im Juli fuhr Clauberg nach Ravensbrück, um sich dort jüdische Frauen für seine Experimente "auszusuchen". Clauberg spritzte den Frauen während einer "allgemeinen gynäkologischen" Untersuchung eine chemische Reizflüssigkeit in die Gebärmutter, (oft bis an das Ende des Eileiters, in mehreren Fällen bis in die Bauchhöhle), welche zur Verklebung und zur völligen Zerstörung des Eileiters führte. Die Wirksamkeit seiner Methode wurde mit Hilfe von Röntgenaufnahmen festgestellt.
So schien es Clauberg möglich zu sein: "von einem entsprechend eingeübten Arzt, an einer entsprechend eingerichteten Stelle mit vielleicht 10 Hilfspersonen höchstwahrscheinlich mehrere hundert - wenn nicht gar 1000 - Frauen an einem Tag zu sterilisieren".

6. Fazit

1944 endete das gesamte Sterilisationsprogramm der SS. Alle Humanexperimente haben keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse erbracht und dienten vordergründig zur Qual und Folter der Häftlinge in den Konzentrationslagern. Wobei man mit so einer Skrupellosigkeit vorging, dass man dieses weder verzeihen, noch verstehen kann. Alle moralischen Vorsätze unterlagen dem blinden Gehorsam zu den oft "maskierten" Auftraggebern, wobei jegliche Gefühle, wie Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft keine Rolle mehr spielten, sondern nur vermeintlich wissenschaftliche Neuerungen und Ergebnisse ausschlaggebend waren.

Jedoch wurden durchaus "praktische Ergebnisse" erzielt: Hunderte Tote, Gequälte und Verstümmelte.

verfasst von: Susann G.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 1999/2000