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Lernen im Jüdischen Museum (2010)

Der Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ absolvierte vor den Herbstferien eine zweitägige Exkursion in die Hauptstadt.

Es ist Freitag, der 1. Oktober 2010. Ein Blick auf die Bahnhofsuhr - es ist 6:28 Uhr. Was sagt uns das? Noch 17 Minuten in eisiger morgendlicher Herbstkälte, bis unser Zug einfährt, der uns über Elsterwerda zu unserem Reiseziel bringt: Berlin.
Nach 1020 Sekunden Wartezeit, in denen wir uns fragten, was wir wohl in den kommenden Tagen noch zu sehen bekommen, stiegen wir in den Bummelzug. Geschätzte zweieinhalb Stunden später verließen wir höchst motiviert unser Transportmittel auf dem Berliner Hauptbahnhof und zogen mit jedem Atemzug die Großstadtluft tiefer in uns hinein.
Als unbeholfene orientierungslose Masse von Kleinstadtbürgern watschelten wir umher und suchten verzweifelt nach dem richtigen Gleis, wo die richtige S-Bahn abfuhr, die uns in die richtige Richtung, zur richtigen Haltestelle namens „Hallisches Tor“ brachte. Was von dort in 750 m Entfernung auf uns warten sollte, das wussten wir. Viele von uns waren bis zu diesem Tag noch nie im Jüdischen Museum. Andere hatten schon einmal die Chance, dieses atemberaubende Gebäude zu betrachten und manchen konnten sich guten Gewissens als „Stammgäste“ bezeichnen. Erbaut wurde das Gebäude von Daniel Libeskind und gehört mit rund 734 000 Gästen im Jahr zu den meistbesuchten Museen Berlins.
Dort angekommen, nahmen wir an einem Zeitzeugen- und Stifter-Workshop im Archiv des jüdischen Museums teil, wobei an dieser Stelle erwähnt werden sollte, dass ein Großteil des Archivbestandes von Privatpersonen gestiftet wurden ist - von Menschen, die das jüdische Museum als einen Ort sehen, an dem die Erinnerungen an ihr Schicksal und das ihrer Familie „in guten Händen“ ist. Die meisten von ihnen flüchteten während der NS- Zeit, wie auch Eugen und Dorothea Merzbacher, die wir noch an diesem Nachmittag kennenlernen durften. Zuvor arbeiteten wir jedoch in Kleingruppen (von 3-5 Schülern) an Originaldokumenten in enger Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Archivs.

Durch die intensive Beschäftigung mit Originaldokumenten, war es uns nicht nur möglich eine Rekonstruktion der Geschichte zu erstellen, sondern sich auch mit Fragen der Quellenarbeit und -kritik auseinander zu setzten. Die jeweiligen Kleingruppen erarbeiteten selbstständig einen kurzen Vortrag, der in der anschließenden Versammlung, in Anwesenheit unserer Zeitzeugen präsentiert wurde und auf das anschließende Gespräch einstimmte. Uns war es erlaubt Fragen an diese beiden Leute zu stellen, um ihre eigene Sichtweise auf die NS-Zeit besser nachvollziehen zu können. Im Anschluss an den Workshop bestand für uns die Möglichkeit eines eigenständigen Museumsbesuch von 45 Minuten - eine Zeit die keineswegs ausreichte, um sich mit allen interessanten und ergreifenden Themen dieser Ausstellung beschäftigen zu können.
Müde und erschöpft stiegen wir anschließend in die S-Bahn in Richtung „Warschauer Straße“ ein, wo unser Hostel schon auf uns wartete. Es war ein mehrstöckiges, modernes Gebäude in Friedrichshain (mit äußerst bequemen Betten). Viel Zeit zum Ausruhen blieb uns jedoch nicht, denn 19:30 Uhr begann offiziell unser Theaterstück im GRIPS- Theater, namens „Linie 1“- eine Show, ein Drama, ein Musical über Leben und Überleben in der Großstadt, über Hoffnung und Anpassung, Mut und Selbstbetrug, zum Lachen und Weinen, zum Träumen - und zum Nachdenken über sich selbst.Mit großer Begeisterung fuhren wir im Dunkeln, vorbei an vielen funkelnden Lichtern und dem groß beleuchteten Fernsehturm in unser Hostel, wo wir in unsere langersehnten Doppelstockbetten kletterten.
Der „böse“ Wecker klingelte am Samstag um 7:30 Uhr. Nach einem gemeinsamen Frühstück mit Cornflakes, Brötchen und Kaffee machten wir uns wieder auf den Weg in die Stadt. Unsere bisherige Absicht, den Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee zu besuchen, mussten wir jedoch korrigieren. Es war Samstag, also aus jüdischer Sicht Sabbat - ein arbeitsfreier Tag. Stattdessen besuchten wir die Ausstellung „Topographie des Terrors“, in der wir an eine äußerst interessante und ergreifende Führung teilnehmen konnten, die uns über den nationalsozialistischen Verfolgungs- und Terrorapparat informierte. Es war ein mulmiges und zugleich bedrückendes Gefühl auf dem Boden eines harmlos erscheinenden Ort zu laufen, an dem sich während des „Dritten Reichs” die Zentralen der Geheimen Staatspolizei, der SS und des Reichssicherheitshauptamts befanden.
Anschließend hieß das Programm für alle Schüler: individuelle Freizeit in der Großstadt. Berlin, was gibt es schon Aufregenderes?
Nach zwei Stunden trafen wir uns alle wieder am Berliner Hauptbahnhof und begrüßten unseren Bummelzug, der uns in Richtung Heimat bringen sollte.

Text: Hanna-Pauline C. / Fotos: Sebastian H.