Dr. Josef Schuster (2019)
Bildung, Aufklärung, Empathie - Zentralratschef der Juden besucht Döbelner Gymnasium
Das Döbelner Lessing-Gymnasium feiert in diesem Jahr 150-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass besuchte nun Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, um mit Schülern, Eltern und Lehrern zu diskutieren. In Zentrum seiner Ansprache stellte er das Thema Toleranz.
Prominente Besucher hat sich das Lessing-Gymnasium im Rahmen seiner Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag der Schule eingeladen. Am Mittwochabend war Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Gast in der Aula des Gymnasiums. Nach seinem Vortrag diskutierte er mit Schülern, Eltern und Lehrern.
Dass der oberste Vertreter von 105 jüdischen Gemeinden in Deutschland mit knapp 100.000 Mitgliedern das Döbelner Lessing-Gymnasium besucht, hat nicht nur mit dem Jubiläum zu tun. „Es gibt in Deutschland nicht sehr viele Schulen, die 150 Jahre bestehen. Das ist eine stolze Zahl und eine lange Tradition“, sagte er, um später auf eine Besonderheit der Schule genauer einzugehen. Denn seit über 20 Jahren wird am Döbelner Gymnasium jüdische Kultur und Geschichte in einem Wahlgrundkurs vermittelt. Und weil das Abitur auf das Studium vorbereiten soll, müssen künftige Studenten auch Methoden erlernen, sich Wissen anzueignen.
Deshalb hatte sich der 1998 gestartete Wahlgrundkurs als Forschungsgegenstand die „Geschichte der Döbelner Juden im 20. Jahrhundert“ ausgesucht. Josef Schuster nahm mit Begeisterung zur Kenntnis, dass die Schicksale Döbelner Juden in der NS-Zeit dank der Gymnasiasten gut erforscht und dokumentiert sind. „Nicht nur das Schicksal dieser jüdischen Familien aus Döbeln hat mich bewegt. Mich hat es vor allem bewegt zu sehen, wie es Ihnen hier am Lessing-Gymnasium offensichtlich gelingt, jungen Menschen ein großes Wissen über die deutsche Vergangenheit und Empathie mit den Opfern zu vermitteln. Das ist nicht der Normalfall, nicht der Durchschnitt. Das ist etwas ganz Besonderes“, so Schuster.
Doch an einem Gymnasium, das den Namen des großen deutschen Dichters Gotthold Ephraim Lessing trägt, ist es naheliegend, über das Thema Toleranz zu sprechen. Schuster ging im Weiteren auf aktuelle Entwicklungen in Deutschland ein, darauf, dass es Bewegungen gibt, die den Geist der Aufklärung des christlich-jüdischen Abendlandes negieren, um für ein ethnisch homogenes Deutschland, für die Ausgrenzung bestimmter Gruppen zu werben. Ob es Rechtsextreme seien, die gegen Ausländer hetzen, oder Islamisten, die den westlichen Lebensstil verteufeln – sie alle erklären Menschen, die sie gewinnen wollen, zu Opfern, die ungerecht behandelt wurden. Und dann folgen bei den Extremisten meist sehr simple Rezepte. „Diese Extremisten waren schon immer gefährlich. Doch inzwischen haben jene auf der rechten Seite Verbindungen in alle Landesparlamente und den Bundestag: Die Überschneidungen zwischen rechtsextremen Parteien und rechtsextremen Denkschulen mit der AfD sind groß.“
Die Tatsache, dass sehr viele Bürger nur sehr wenig über Islam und Judentum wissen, dass sich viele Bürger ungern mit dem Nationalsozialismus befassen, dass sie Angst vor Globalisierung und Digitalisierung haben, spielte den rechten Kräften in die Hände. Bildung und Aufklärung seien für ihn die wichtigsten Instrumente, diesem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Da leiste das Döbelner Gymnasium Bedeutendes. „Ihre Schüler werden nicht überrascht aufschauen, wenn sie hören, dass übernächstes Jahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert wird. Ihre Schüler werden nicht die seltsame Unterscheidung zwischen Deutschen und Juden machen und sie werden die Zahl der Juden in Deutschland auch nicht auf mehrere Millionen schätzen.“ Künftig müsse an deutschen Schulen noch viel breiter als bislang jüdische Religion, Kultur und Geschichte vermittelt werden. Auch die Empathie mit den Opfern der Shoah sei ein Schlüssel gegen Intoleranz, wie sie von Rechten und oft von Muslimen ausgehe. Deshalb strebe er einen jüdisch-muslimischen Dialog an.
Hauptberuflich arbeitet der 65-Jährige als Arzt mit eigener internistischer Praxis in Würzburg. Präsident des Zentralrates der Juden ist er im Ehrenamt.
Döbelner Allgemeine Zeitung
Thomas Sparrer
14.06.2019
Lesen Sie auch den Artikel zum Besuch Dr. Schusters in der "Jüdischen Allgemeinen":
Bildung als bestes Mittel gegen Antisemitismus
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland redet im Lessing-Gymnasium über zunehmende Intoleranz.
Döbelner Gymnasiasten wissen mehr. „Was das Lessing-Gymnasium Döbeln mit seinem Kurs zu jüdischer Geschichte und Kultur leistet, ist außergewöhnlich und ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Josef Schuster (65). „Und es ist wunderbar, dass das Lessing-Gymnasium auch noch andere Menschen an diesem Wissen teilhaben lässt. Vor der Internetseite, die aus dem Kurs entstanden ist, kann ich nur den Hut ziehen.“
Der Wahlgrundkurs erstellt seit vielen Jahren eine der umfangreichsten und mehrfach ausgezeichneten Dokumentationen zum Thema Judentum im deutschsprachigen Raum. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, war am Mittwoch zu Gast am LGD und hielt eine Festrede aus Anlass des 150. Geburtstag des Döbelner Gymnasiums. Sein Amtsvorgänger Ignaz Bubis besuchte das Gymnasium vor 20 Jahren.
Schuster erinnert in seiner Rede an die Vorgänge in Chemnitz, redet über Ausgrenzung und konkret über einen Vorfall in Hannover, wo einem jüdischen Ehepaar die Fußmatte angezündet und der Zaun mit „Jude“ beschmiert wurde. Intoleranz und Antisemitismus seien auf dem Vormarsch, so Schuster. Ängste verspürten auch die jüdischen Gemeinden.
Die polizeiliche Statistik zeigt, dass es im Schnitt im vergangenen Jahr einmal wöchentlich eine Gewalttat gegen Juden gab, 1800 antisemitische Straftaten insgesamt. Die meisten gehen auf das Konto von Rechtsextremisten. Für die gesellschaftliche Klimaverschärfung macht er vor allem die AfD verantwortlich. Bildung und Aufklärung, so wie es das LGD bereits praktiziert, hält er für das wichtigste Instrument, um dagegen vorzugehen. Unwissenheit fördere Vorurteile und die wiederum hätten Ablehnung zur Folge. „Es erfordert vor allem Mut“, sagt Schuster. Das fange im Kleinen an. Etwa die Stimme zu erheben, wenn wieder mal jemand einen Witz über Juden gemacht hat.
Dr. Josef Schuster wurde 1954 in Haifa, Israel, geboren. In den 1930er-Jahren hatte seine Familie nach massiven Diskriminierungen und KZ-Aufenthalten die unterfränkische Heimat verlassen. Als Schuster zwei Jahre alt war, kehrte er in die Heimat zurück. Sein Vater baute die jüdische Gemeinde wieder mit auf. „Ich habe mich hier immer zu Hause gefühlt“ sagt er auf Anfrage. „Für uns war es nie ein Thema, zu gehen. Der Holocaust war ein Thema in der Familie, aber nie dominant.“ Der Zentralratsvorsitzende arbeitet trotz der Belastung seines Amtes noch immer als niedergelassener Internist in Würzburg und ist mehrmals im Monat nachts im Notarztwagen unterwegs. Das Amt des Präsidenten ist ein Ehrenamt.
Verschweigen will Schuster nicht, dass die Intoleranz, die die jüdische Gemeinschaft zunehmend verspürt, zu einem Teil von Muslimen ausgeht. Schuster wehrt sich dagegen, Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Unter den Migranten aus dem arabischen Raum sei aber eine tiefe Abneigung gegenüber Israel und Juden generell sehr verbreitet. Die Feindschaft zu Israel gehöre zur Staatsräson, auf Landkarten etwa gebe es den Staat Israel nicht.
Das Wissen über das Judentum und den Holocaust sei bei vielen sehr begrenzt. Das zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung von 2017. Danach wissen vier von zehn Schülern nicht, wofür Auschwitz steht. „Das ist erschreckend und ein Missstand in der deutschen Bildungslandschaft“, so Schuster. Er sieht daher Handlungsbedarf in den Schulen.
Der Zentralrat der Juden versucht, Projekte anzuschieben, etwa durch eine Kooperation mit der Kultusministerkonferenz. Dazu gehört auch die Aus- und Weiterbildung von Lehrern. Die Begegnung mit Zeitzeugen, die wohl jeden emotional anspricht, sowie der Besuch von Konzentrationslagern seien weitere wichtige Bausteine gegen das Unwissen. Der Zentralrat hat darüber hinaus das Projekt „Likrat“ gestartet, bei dem jüdische Jugendliche in Schulklassen gehen und Fragen zum Judentum beantworten.
Döbelner Anzeiger
Dagmar Doms-Berger
14.06.19