Behemoth und Leviathan

Der Behemoth (hebräisch „Großtier“, Steigerungsplural von hebräisch „Tier“) ist ein in der jüdischen Mythologie auftauchendes, an Land lebendes Ungeheuer, welches in seiner Gestalt einem Ochsen ähnelt. Er stellt das Gegenstück zum Leviathan, einem im Wasser lebenden Ungeheuer, dar. Weiterhin wird Behemoth auch als Gegenstück zu Ziz, einem nicht in der Tora auftauchenden Vogel, dargestellt.

William Blake, Behemoth und Leviathan (Ausschnitt zeigt Behemoth), Lithographie, 1805

Im Buch Hiob wird der Behemoth und all seine Kraft durch Gott, seinen Schöpfer, genauer beschrieben, um Hiob von seiner Machtlosigkeit gegenüber seinem Schicksal zu überzeugen:

Siehe, der Behemoth, den ich neben dir gemacht habe, frißt Heu wie ein Ochse.
Siehe, seine Kraft ist in seinen Lenden und sein Vermögen im Nabel seines Bauchs.
Sein Schwanz strecket sich wie eine Zeder, die Adern seiner Scham starren wie ein Ast.
Seine Knochen sind wie fest Erz, seine Gebeine sind wie eiserne Stäbe.
Er ist der Anfang der Wege Gottes; der ihn gemacht hat, der greift ihn an mit seinem Schwert.
Die Berge tragen ihm Kräuter, und alle wilden Tiere spielen daselbst.
Er liegt gern im Schatten, im Rohr und im Schlamm verborgen.“
(Hiob, Kap. 40 Z. 15-21)


In der Tora erhält man keinerlei Auskunft über die Erschaffung und den Tod dieses Ungeheuers, es wird lediglich berichtet, Gott habe den Behemoth neben Hiob gemacht. Die zum Erntedankfest vorgetragene Hymne „Akdamut“, die im Talmud zu finden ist, erzählt jedoch von einem Kampf zwischen Behemoth und Leviathan. So kommt es infolge der Schlacht von Harmagedon zur Konfrontation Behemoths mit seinem Gegenstück Leviathan. Dabei versucht Behemoth den Gegner mit seinen Hörnern aufzuspießen. Leviathan hingegen hat die Absicht, Behemoth mit seinen Flossen zu erschlagen. Da es zwischen den beiden Rivalen zu keiner Entscheidung kommt, werden beide durch das Schwert Gottes getötet. Anschließend wird ihr Fleisch, gemeinsam mit dem des Vogels Ziz, den „Rechtschaffenen“ zur Speise gegeben, worin auch der Vortrag dieser Hymne zum Erntedankfest begründet ist. Die Häute werden außerdem von Gott an die Menschen gegeben, um aus ihnen Laubhütten und Baldachine zu fertigen. Diese finden ihren Einsatz zum Laubhüttenfest Sukkot, wobei man sich jährlich im Gebet wünscht, im Folgejahr in einer mit Leviathans Haut bespannten Hütte zusammenzukommen.

Der Leviathan (hebräisch „der sich Windende“) ist ein ebenfalls in der jüdischen Mythologie auftauchendes, im Wasser lebendes Ungeheuer, welches einer Schlange oder auch einem Drachen ähnelt. Er wird im Buch Hiob von Gott als ein mit Schuppen bedecktes schlangenartiges und feuerspeiendes Wasserungeheuer charakterisiert:

Wer kann die Kinnbacken seines Antlitzes auftun? Schrecklich stehen seine Zähne umher.
Seine stolzen Schuppen sind wie feste Schilde, fest und enge ineinander.
Eine rührt an die andere, daß nicht ein Lüftlein dazwischengehet.
Es hängt eine an der andern, und halten sich zusammen, daß sie sich nicht voneinander trennen.
Sein Niesen glänzet wie ein Licht; seine Augen sind wie die Augenlider der Morgenröte.
Aus seinem Munde fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus.
Aus seiner Nase gehet Rauch wie von heißen Töpfen und Kessel.
Sein Odem ist wie lichte Lohe, und aus seinem Munde gehen Flammen.
Er hat einen starken Hals; und ist seine Lust, wo er etwas verderbet.
Die Gliedmaßen seines Fleisches hangen aneinander und halten hart an ihm, daß er nicht zerfallen kann.
Sein Herz ist so hart wie ein Stein und so fest wie ein Stück vom untersten Mühlstein.
Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken; und wenn er daherbricht, so ist keine Gnade da.
(Hiob, Kap. 41 Z. 14-25)

Auch mit dieser Beschreibung versucht Gott Hiob davon zu überzeugen, dass seine Versuche, sein Schicksal zu ändern, ergebnislos bleiben werden. Im Gegensatz zu Behemoth wird die Erschaffung und das Ende Leviathans in der Tora beschrieben. So wird in Psalm 104 geschildert, Gott habe Leviathan geschaffen, „um mit ihm zu spielen“. Weiterhin wird im Babylonischen Talmud, genauer im Kapitel „Avoda Zara“, berichtet, dass Gott die letzten drei Stunden des Tages dem Spiel mit Leviathan widmet, nachdem er die Tora studiert, die Menschen gerichtet und die Welt genährt hat. Auch über den Tod Leviathans gibt die Tora Auskunft. Nach Psalm 74 schlägt Gott Leviathan den Kopf ab: „Du hast dem Leviathan die Köpfe zerschlagen und ihn zum Fraß gegeben dem wilden Getier.“ Auf ähnliche Weise stirbt Leviathan nach Jesaja Kapitel 27: „Zu der Zeit wird der HERR heimsuchen mit seinem harten, großen und starken Schwert beide [...] und wird den Drachen im Meer erwürgen.“ Anders als in diesen beiden Überlieferungen, nach denen der Leviathan bis zum Tod eine derartige Macht besitzt, dass ihn nur Gott töten kann, findet das Seeungeheuer nach dem im Babylonischen Talmud auftauchenden Traktat „Moed Katan“ seinen Tod, indem es, wie ein einfacher Fisch, von Menschen aus dem Meer geangelt wird.

Wofür stehen Behemoth und Leviathan?
Ausgehend von der Erwähnung der beiden Ungeheuer im Buch Hiob sollen sie die Allmacht der göttlichen Schöpfung verdeutlichen und Hiob vor Augen führen, wie machtlos er als einfacher Mensch gegenüber seinem Schicksal ist. Später werden beide Wesen mit dem Teufel in Verbindung gebracht. Behemoth wird beispielsweise von Anton Szandor LaVey (1930 - 1997), dem Gründer der US-amerikanischen Organisation Church of Satan, als dummer und gefräßiger Dämon dargestellt. Er diene in der Hölle als „Mundschenk und Kellermeister“. Des Weiteren dient Behemoth einer polnischen Black- beziehungsweise Deathmetal-Band als Namensgeber.Leviathan taucht in Verbindung mit dem Teufel schon im christlichen Mittelalter auf. Als Dämon des Neides und damit als Repräsentant einer der sieben Todsünden wird Leviathan vom Theologen Thomas von Aquin (13. Jahrhundert) und vom Hexentheoretiker Peter Binsfeld (16. Jahrhundert) dargestellt. Bis heute dient er in der christlicher Kultur als Sinnbild für Chaos, Gottferne und die Sünden der Menschen.

Frontispiz von Hobbes' Leviathan. Zu sehen ist der Souverän, der über Land, Städte und deren Bewohner herrscht. Sein Körper besteht aus den Menschen, die in den Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben. In seinen Händen hält er Schwert und Krummstab, die Zeichen für weltliche und geistliche Macht. Überschrieben ist die Abbildung durch ein Zitat aus dem Buch Hiob (41,25 EU): "Keine Macht auf Erden ist mit der seinen vergleichbar".

Die Wirkungsgeschichte Behemoths und Leviathans beschränkt sich jedoch nicht nur auf dämonologische Interpretationen. Vielmehr diente sie den Philosophen Thomas Hobbes und Franz Leopold Neumann zur Analyse und Veranschaulichung menschlicher Lebensumstände. In Thomas Hobbes Werk „Leviathan oder Wesen, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Gemeinwesens“ aus dem Jahr 1651 personifiziert dieser den Staat mit Leviathan, so dass sämtlicher menschlicher Widerstand gegenüber dem Staat als aussichtslos gilt. Ein weiteres Werk Hobbes‘ „Behemoth oder das lange Parlament“, welches 1668 verfasst wurde, stellt den sogenannten Naturstand in den Mittelpunkt seiner Philosophie. In diesem Zustand leben alle Menschen völlig frei, jedoch in Chaos und Anomie, so dass ein „Krieg aller gegen alle“ herrscht. Demzufolge leben alle Menschen in ständiger, unüberwindbarer Furcht, welche Hobbes mit Behemoth charakterisiert. Aus dieser Furcht heraus streben die Menschen einem Zusammenschluss aller und damit einem starken und Sicherheit bietendem Staatswesen entgegen, dem Gegenstück zu Behemoth, Leviathan.

Von Hobbes Schrift inspiriert, verfasst der deutsche Jurist und Politologe Franz Leopold Neumann während seiner Exilzeit in den USA von1941 bis 1944 „Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944“. In diesem staatstheoretischen Werk charakterisiert Neumann das Dritte Reich, welches zwar nach außen hin als starker und autoritärer Staat erscheint, nicht als Leviathan und folgt damit nicht der Auffassung Hobbes. Aufgrund der in Wirklichkeit vorherrschenden Willkür des NS-Regimes, welches im Endeffekt für Terror und Egoismus steht, sieht Neumann in Deutschland eine Form des Naturzustandes vorliegen und vergleicht dieses System daher mit Behemoth.

verfasst von: Felix Sch.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2008/09