Ghetto und Deportation

„Am 9. November 1938 wurden vor den Augen einer weitgehend uninteressierten, herumstehenden Berliner Bevölkerung Juden verprügelt, gefangen genommen, verschleppt und totgeschlagen, jüdische Gotteshäuser entweiht, geplünderte und in Brand gesteckt, Angst und Terror in jedem jüdischen Haus verbreitet. Der Polizeiapparat gab später bekannt, dass man im Eifer lediglich „etwas Kristall“ zerbrochen habe.“
M. Offenberg (Hrsg.), Adass Jisroel. Die jüdische Gemeinde in Berlin (1869-1942). Vernichtet und vergessen

Die „Reichskristallnacht“ war Ausgangspunkt einer weiteren Phase der Judenverfolgung, die mit der Enteignung der Juden begann. Diese Enteignung verlief in zwei Phasen, einmal der sogenannten freiwilligen Arisierung, wobei der Verkauf der jüdischen Geschäfte über „freiwillige“ Verträge geregelt wurde. Der andere Teil bestand aus einer „Zwangsarisierung“, bei der die Juden durch staatliche Verordnungen zum Verkauf ihres Eigentums gezwungen wurden. Dabei verloren sie ihre Geschäfte und oft auch ihre Ersparnisse. Die Folge dieser „Zwangsarisierung“ war die Armut vieler jüdischer Familien. Somit wurden die Juden allmählich aus dem bürgerlichen Leben Deutschlands ausgeschlossen.

Es bestand aber dennoch das Problem, dass der rasche Zusammenbruch einer jüdischen Firma ohne gleichzeitige Erweiterung durch ein deutsches Unternehmen zu Arbeitslosigkeit nichtjüdischer Beschäftigter und Steuereinbußen führen konnte. Man versuchte dieses Problem durch schnelles Aufkaufen weitgehend zu verringern.

Die nun enteigneten Juden wollte der Staat in zwei weiteren Phasen „abschieben“. Im ersten Teil sollten ca. 600.000 Juden aus den eingegliederten Gebieten in das Generalgouvernement abgeschoben werden , und im zweiten Teil sah man eine Zusammenfassung der Juden in geschlossen Ghettos vor. Dieser Plan wurde dann später noch erweitert, indem auch Zigeuner aus dem Reich abgeschoben wurden.

Die Vertriebenen wurden mit Zügen in die Regionen transportiert, die dann, wie zum Beispiel der Distrikt Lublin, in „Judenreservate“ verwandelt wurde. Im Oktober 1941 setzt nun im Reich eine Massendeportation ein, wobei der Plan der Ghettoisierung realisiert werden sollte und zwar solange bis Todeslager zur Vernichtung der Juden fertiggestellt waren.

Die gebildeten Ghettos, wie z.B. das Warschauer Ghetto, stellen einen „in Gefangenschaft gehaltenen Stadtstaat“ dar, in dem sich die Juden einer deutschen Obrigkeit unterwerfen mussten. Die Bevölkerung ist isoliert von der Außenwelt und auf sich selbst gestellt. Das bedeutet, dass sie alle anstehenden Probleme, wie Hunger und Arbeitslosigkeit selber bewältigen musste, da nicht die Möglichkeit bestand, die wenigen im Ghetto hergestellten Produkte außerhalb zu verkaufen, um Nahrung zu erhalten, denn es bestand ein ständiger Geld- und Nahrungsmittelmangel.

Ein in Lumpen gehülltes Kind liegt auf einem Bürgersteig im Warschauer Ghetto, Mai 1941

Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-134-0771A-39 / Zermin / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE

Das Leben damals in den Ghettos war grausam. Es herrschte ständiger Hunger, die deutschen Behörden hatten für die Bewohner teilweise nur 200 Kalorien festgelegt. Bei einer Diät im Krankenhaus werden heute 1000 Kalorien verordnet.
Es herrschten unmenschliche hygienische Bedingung, Epidemien wie Typhus und andere schwere Krankheiten konnten sich sehr leicht ausbreiten. Ein weiterer Grund dafür war auch, dass in den Ghettos immer eine unbeschreibliche Enge herrschte, so mussten im Warschauer Ghetto 1940 350 000 Menschen leben, deren Zahl später noch auf 500 000 anstieg. So standen den Menschen im Ghetto nur 7 Quadratmeter pro Person zur Verfügung, was bedeutete, dass sie mit ca. 10-15 Menschen in einem Raum leben mussten.

Eine bewegende Schilderung des Alltags im Ghetto liefert Jurek Becker mit seinem Roman "Jakob der Lügner".

Es gab noch einige andere Aktivitäten, die das Leben normalisieren sollten, in Lodz war es ein Puppentheater für die Kinder und im Warschauer Ghetto ein Kinderchor. Trotz allem war das Elend in den Ghettos sehr groß. Die Menschen starben einfach so auf der Strasse und keiner half ihnen, es gab einfach zu viele, denen es so ging. Man deckte sie mit Zeitungspapier zu, bis sie in ein Massengrab geschafft wurden. Kurz gesagt, das Ghetto war eine Todesfalle, entweder man starb darin an Unterernährung oder Krankheiten, oder man wurde von dort aus in die Vernichtungslager transportiert. Die Ghettos dienten oft als Umschlagplätze. Diese lagen meist an Eisenbahnlinien. Um die Deportationen zu erleichtern wurde in Warschau sogar extra Eisenbahnschienen in das Ghetto gelegt. Dort "evakuierte" man täglich bis zu 7000 Menschen, wobei aber erwähnt werden muss, dass nicht nur Gestapo oder SS für das Zusammentreiben der Juden sorgten, sondern auch sogenannte "Judenräte", die gezwungen wurden, das Ghetto mit all seinen Problemen zu verwalten. Dabei stand bei ihnen immer zur Diskussion, ob sie Widerstand leisten sollten, wobei dies nichts ausrichten konnte.

Die Aushebungsverfahren können in zwei Phasen eingeteilt werden.
Anfangs legten die Judengemeinden umfangreiche Listen vor, anhand welcher die Gestapo ihre „Auswahl“ traf. In dieser Phase gab es mehr Opfer als Transportraum oder geeignete Bestimmungsorte. Auch teilte man den Opfern noch mit, wohin ihre Reise angeblich ging.
Die zweiten Phase, die mit der Inbetriebnahme der Todeslager begann, wurde mit Hilfe von Namenslisten bestritten, die man den Steuerregistern der Gemeinde entnahm. In verschiedenen Städten ging die Polizei sodann ohne Vorankündigung gegen jüdische Bewohner vor, indem sie in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden überraschend an der Wohnungstür erschienen. Immer herrischer teilte die Gestapo ihre Befehle aus, ohne sich groß mit Begründungen oder Erklärungen abzugeben. Sie ließ immer nur verlauten, dass es zwecklos sei unterzutauchen, da es nur zu härteren Maßnahmen führen würde.

Für die Deportationen war das europäische Eisenbahnnetz besonders wichtig. Die SS mietete Züge und oft mussten die Opfer ihre Fahrt in die Konzentrationslager auch noch selber bezahlen, denn die Ermordung der Juden sollte nichts kosten. Aber nicht nur die Reichsbahn war an den Deportationen beteiligt, sondern auch viele andere staatliche Ämter. Das Finanzamt registrierte und konfiszierte das Eigentum der "Abgeschobenen", trieb ihre Schulden ein und kassierte die Lebensversicherung. Das Ernährungsamt nahm ihnen die Lebensmittelkarten ab, das Wohnungsamt sammelte die Hausschlüssel ein, die Polizei überwachte den Weg der "Abgeschobenen" zum Bahnhof und sogar die Reichsvereinigung der Juden half bei der Deportation. Dies geschah aber nicht freiwillig, sondern unter Druck der Gestapo.

Deportation polnischer Juden in das Vernichtungslager Treblinka aus dem Ghetto in Siedlce, 1942 - Autor unbekannt / Public domain

Die Deportationen wurden in der Öffentlichkeit nie so genannt. Da hieß es, die betreffenden Familien wurden "evakuiert" oder waren "unbekannt verreist". Bei einer sogenannten "Evakuierung" wurde ihnen gesagt, dass sie auch Sachen des persönlichen Bedarfs wie Geschirr, warme Sachen, Geld und alle persönlichen Dokumente mitnehmen sollten.
Die eigentliche Deportation lief sehr unmenschlich ab. Die Züge bestanden meist aus Viehwaggons, waren restlos überfüllt. Trotz der oft tagelang dauernden Transporte gab es meist keine geeignete Toilette und im Winter auch keine Möglichkeit, den Waggon zu beheizen. Es wurde keine Scheu gezeigt Juden zu erschießen.
Im Warschauer Ghetto wurden wahrscheinlich bis Mitte September 1942 260 00 Menschen ins Vernichtungslager Treblinka deportiert. Im selben Jahr wurden Juden und "Zigeuner" aus dem Ghetto Lodz in das Lager Chelmno gebracht und erstmalig auch nach Auschwitz. Diese Vernichtungslager wurde extra gebaut um viele Menschen dort umzubringen.

verfasst von Gerlind G.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2000/2001