Die Haltung des Vatikans zum Holocaust

„Millionen Menschen auf dem Boden ihres eigenen Vaterlandes der elementarsten Bürgerrechte und –privilegien beraubt, man verweigert ihnen den Schutz des Gesetzes gegen Gewalt und Diebstahl, Beleidigung und Schmach harren ihrer, man geht sogar so weit, das Brandmal des Verbrechens Personen aufzudrücken, die das Gesetz ihres Landes bis dahin peinlich genau befolgt haben...“
Dies ist das Kernstück der geplanten Enzyklika „Mit brennender Sorge“ des Papstes, eine Kampfansage gegen den Rassenwahn. Während Papst Pius XI. Mitte März 1937 dieses Schreiben verfasst, werden Juden in Deutschland entmündigt, enteignet, gedemütigt.

Nuntius Pacelli
Nuntius Pacelli verläßt das Rechspräsidentenpalais nach dem Neujahrsempfang für Diplomaten, 09.12.1929

1998 veröffentlichte der Vatikan eine Erklärung zum Holocaust die ihn und insbesondere den Papst Pius XII. von der schweren Mitschuld an dem millionenfachen Judenmord zu entlasten suchte. Aber es gelang ihnen nicht: Erfindungen und Lügen auf der einen, Weglassungen und Unterschlagungen auf der anderen Seite, sind hier so eindeutig vermischt, dass kaum eine Frage aufgeklärt werden konnte .

Fangen wir mit dem Anfang an, einem Anfang, den es bei der Vatikan-Erklärung vorsichtshalber gar nicht erst gibt: Der Mann, der sich selbst den Namen Pius („der Fromme“) gab, hieß als Kardinal Eugenio Pacelli, sprach Deutsch als wäre es seine Muttersprache und war über zwölf Jahre lang amtierender Botschafter des Vatikans in Deutschland. Sein Privatsekretär Robert Leiber – ein Deutscher, seine Haushälterin Pascalina – eine Deutsche und die Namen seiner zweier Vögel, die Pacelli hegte und pflegte, Gretchen und Peter, machen seine Verbundenheit mit den Deutschen mehr als sichtbar.

Papst Pius XII. / Public domain

Rolf Hochhuth, Autor des weltweit bekannten Schauspiels „Der Stellvertreter“, hat die Haltung des Papstes zum Holocaust dem Vergessen entrissen, in der „der Herr des Vatikan und Herrscher über Millionen gläubiger katholischer Gemüter", die Stigmatisierung der jüdischen Menschen unter Berufung auf Gott zu rechtfertigen schien: “Jerusalem hat seine (Gottes) Einladung und seine Gnade mit jener starren Verblendung und jenem hartnäckigen Undank beantwortet, die es auf dem Wege der Schuld bis zum Gottesmord geführt hat.“ (Zit. Frankfurter Rundschau, 19.3.´98)
Das ist die eine Seite.

Es ist jedoch auch nicht zu bestreiten, dass Pius mit dafür gesorgt hat, dass sich über 4400 Juden in römischen Kirchen und Klöstern bis zum Abmarsch der Besatzer verbergen konnten. Er war auch bemüht, den Frieden durch persönliche Initiative zu erhalten und versuchte später „sein“ Italien aus der Kriegsfront herauszubrechen. Doch Pius empfand wie die meisten Bischöfe auch, heimliche Sympathie für rechtstotalitäre politische Systeme, weil sie ihnen als Bollwerk gegen den „gottlosen“ Bolschewismus sehr willkommen waren. Außerdem erschien ihnen die kommunistische Heilslehre als schrecklichste Bedrohung des Katholizismus. Pacelli hielt den Diktator Hitler für einen getreuen Jünger Mussolinis und den italienischen Faschismus für akzeptabel, da sich Mussolini „auf eine immer schärfer werdende Separation“ von jüdischen und nicht jüdischen Italienern beschränkte.

Der historische Antijudaismus der katholischen Kirche tat sein übriges, da die jüdischen Mitbürger alle als „Christusmörder“ verdammt wurden. Wie anders kann ein „Gottesmord“ gesühnt werden, als durch die Tötung der “Gottesmörder“ ? So konnten sich die „guten Schäflein“ des „römischen Oberhirten“ in Gottes Gnade fühlen, wenn sie seine „Mörder“ nun ihrerseits töteten. Das Schweigen der Kirche und die unterlassene Hilfe sind zum Teil auch auf den „Römerbrief“ von Paulus zurückzuführen, in dem festgehalten ist, dass den „von Gott eingesetzten“ Trägern der staatlichen Gewalt, schuldigst Gehorsam geleistet werden muss. In Hitlers „Gebet- und Gesangbuch“ für katholische Soldaten der Wehrmacht, wird die Jungfrau Maria als "Mutter der Kanonen" angefleht, den deutschen Waffen zum Sieg zu verhelfen. Dieser Sieg wurde allerdings erfochten durch die Tötung von Zehntausenden, ja Hunderttausenden polnischen, ukrainischen, französischen und belgischen Katholiken! Auch hier "heiligte der Zweck die Mittel".

Mit einem Zynismus, der seinesgleichen sucht, beruft sich die vatikanische Erklärung auf einzelne Katholiken, die gegen die faschistischen Verbrechen vorgingen und unterschlägt, dass der Papst und seine Bischöfe diesen mutigen Priestern keinerlei Unterstützung zukommen ließen ! Der Katholik Bruening beschreibt die Situation seit 1933 folgendermaßen:

Die große Masse der einfachen Wähler musste jetzt zu der Überzeugung kommen, dass eine Regierung, die so von den Bischöfen behandelt wurde, die Sympathie des Apostolischen Stuhles habe. ... Wer den Kampf aufnahm, hätte noch den Makel auf sich genommen, kein guter Katholik zu sein.“

Diese Situation änderte sich auch nach 1945 nicht. Der katholische Kaplan Joseph Rossaint, der als Führer der Katholischen Jugend im Rheinland wegen seines antifaschistischen Kampfes zehn Jahre in Haft verbringen musste, wurde auch nach der Befreiung vom Nationalsozialismus von den Bischöfen wie ein Aussätziger behandelt und erhielt keine Pfarre.

Franziskaner und Kreuzritter waren Henker in den massenhaft entstehenden Konzentrationslagern (davon alleine neun Kinder-KZ). Im Vernichtungslager Jasenovac, wo über 200.000 Serben und Juden ermordet wurden, war der Franziskaner-Pater Filipovic zeitweise KZ-Kommandant; in dieser Zeit verantwortlich für 40.000 Morde.

Auf solche Taten im „Namen des Herrn“ geht die Erklärung des Vatikans nicht ein oder versucht sie als "Versagen" zu entschuldigen. Erst Papst Johannes Paul II. rang sich im März 2000 zu einer vorsichtigen Stellungnahme zu diesem Thema durch. Er sei „zutiefst betrübt“ über all jene, die Gottes „Söhne und Töchter leiden ließen“; die Christen hätten „bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen“.
Die Frage, ob Papst Pius XII. und der Vatikan den Holocaust verhindern oder einen solchen Ausgang hätten abwenden können, kann bis heute nicht eindeutig geklärt werden, da der Vatikan zwar bisher 5000 ausgewählte Dokumente veröffentlicht hat, aber noch heute alle Akten aus den entscheidenden Jahren unter Verschluss hält.

(Quellen: "Der Spiegel“ 31/2001, „Freidenker“ 2/1998, "Frankfurter Rundschau" 19.3. 1998)

verfasst von: Mario K.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002