Fesselnde Lebensläufe (2012)

Zeitzeugen aus Polen und Belgien beeindrucken mit erschütternden Berichten

Fünf erschütternde Lebensgeschichten standen gestern für die Schüler der Klassenstufen neun, elf und zwölf am Lessing-Gymnasium im Mittelpunkt eines von der sächsischen Bildungsagentur und dem Maximilian-Kolbe-Werk initiierten Geschichtsprojektes. Fünf Zeitzeugen, die den Holocaust als Kinder überlebten, schilderten anschaulich ihre Schicksale. So Krystyna Budnicka (geboren 1932), die mit ihrer jüdischen Familie aus dem Warschauer Ghetto durch die Kanalisation floh und als einzige überlebte.

Alodia Witaszek-Napiera (geb. 1938), die von den Nazis germanisiert wurde und nach dem Krieg ihre polnische Muttersprache wieder lernte oder Henrietta Kretz, die als Sechsjährige zusehen musste, wie ihre Eltern erschossen wurden. Eine Nonne versteckte das jüdische Mädchen. Die Schüler waren von dieser Ergänzung des Geschichtsunterrichtes erschüttert und begeistert. "Die Schicksale machen den Stoff aus unseren Büchern erst greifbar", so die Meinung der Schüler.

Döbelner Allgemeine Zeitung
Thomas Sparrer
15.09.2012

Foto mit den 5 Zeitzeugen, ihren Betreuern von der Maximilian-Kolbe-Stiftung, dem Direktor der Sächsischen Bildungsagentur, Herrn Béla Bélafi und Frau Irina Schenk vom Sächsischen Kultusministerium


Mit einem Sack Brot im Keller eingesperrt

Henryk Pijanowski hat das Warschauer Ghetto überlebt. Sein Schicksal bewegt die Schüler des Lessing-Gymnasiums.

Henryk Pijanowski hat seine Eltern und Geschwister vermutlich im Warschauer Ghetto verloren. Dank seiner Mutter hat er überlebt. Sie hat ihn aus dem Ghetto geschmuggelt. Als 1944 der Warschauer Aufstand von den Deutschen niedergeschlagen wurde, sollte die Bevölkerung die Stadt verlassen. Nur die Juden mussten bleiben, so auch Henryk Pijanowski. Mit einem Sack voll Brot wurde er in einen Keller gesperrt. Nach seiner Befreiung kam der Warschauer in die Obhut einer polnischen Familie.

Die Erinnerung ist schmerzlich. Im Alltag verdrängt er sie. Henryk Pijanowski fällt es schwer, über die Vergangenheit zu reden. Doch er macht es trotzdem. „Die junge Generation darf so etwas nicht noch einmal erleben“, sagt sein Übersetzer Arnold Kersebrock.

Wie alt er ist, dass weiß Henryk Pijanowski nicht. Seine Adoptiveltern haben den 31. Dezember 1937 zu seinem Geburtstag erklärt. Doch für ihn zählt vielmehr, dass er überlebt hat. „Es ist wichtig, dass die jungen Leute hören, was die Zeitzeugen zu sagen habe. Viele werden die Chance nicht mehr haben“, sagt Matthias Litzki, Geschichtslehrer am Gymnasium.

„Nachdem man von so einem Schicksal gehört hat, ist es schwierig, wieder in den Alltag zu gehen“, sagt Laura Haferkorn, Schülerin der zwölften Klasse. Ihre Klassenkameradin Sarah Horlacher fügt hinzu: „Im Unterricht bekommt man nur die Fakten, erst durch die Gespräche hat man einen Einblick, wie schlimm es wirklich gewesen ist.“

Vom Maximilian-Kolbe-Werk wurde der Warschauer angesprochen, sich an dem Projekt „Zeitzeugen“ zu beteiligen. Mit vier weiteren Betroffenen war Henryk Pijanowski in dieser Woche in Sachsens Schulen unterwegs, um den Schülern von seinen Erlebnissen zu berichten. Am Lessing-Gymnasium in Döbeln endete gestern die erste Projektwoche. Die Schule hatte sich um die Teilnahme beworben. In der kommenden Woche sind die Zeitzeugen im Raum Chemnitz unterwegs. Unterstützt wird das Projekt von der Sächsischen Bildungsagentur und dem Sächsischen Kultusministerium.

Döbelner Anzeiger
Maria Lotze
15.09.2012