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Salomon Almekias-Siegl (2001)

Landesrabbiner besucht Döbelner Lessing-Gymnasium

Am gestrigen Nachmittag versammelten sich ca. 60 interessierte Schüler und Lehrer im Konferenzraum des Döbelner Lessing-Gymnasiums. Anlass dafür war der Besuch des sächsichen Landesrabbiners Salomon Almekias-Siegl. Im Rahmen des fächerübergreifenden Wahlgrundkurses "Jüdische Geschichte und Kultur" bot er in einer einstündigen Veranstaltung seinen Zuhörern einen interessanten Einblick in seine Arbeit.

Salomon Almekias-Siegl (links)

In seinen Gottesdiensten erklärt er deshalb sehr viel und versucht das nötige Wissen über die jüdische Religion und Kultur zu vermitteln. Das Interesse der Leute ist groß, so dass die Synagogen immer gut besucht sind. Derzeit gehören 1330 Menschen den drei Gemeinden in Sachsen an. Salomon Almekias-Siegl rechnet mit einem Anstieg auf 1800 bis Ende nächsten Jahres. Denn auch Jugendliche interessieren sich für ihre jüdischen Wurzeln: "Wir haben momentan Glück mit dem Nachwuchs."

Salomon Almekias-Siegl wurde 1946 in Marokko geboren. Nach seinem Studium an der Pädagogischen Hochschule in Israel arbeitete er als Lehrer in England und Deutschland. Von 1995 bis 1997 war er in den Vereinigten Staaten als Rabbiner tätig. Seit Januar 1998 ist er Landesrabbiner von Sachsen. Als solcher kümmert er sich in den jüdischen Gemeinden in Dresden, Leipzig und Chemnitz vor allem um die Integration russischer Aussiedler: "Über 60 Prozent von ihnen sind ältere Menschen, die lange Zeit völlig assimiliert lebten. Jetzt müssen sie ihre Religion neu erlernen."

Neben der Wiederbelebung der jüdischen Gemeinden in Sachsen liegt dem Rabbiner aber auch der Dialog zwischen Juden, Christen und Konfessionslosen am Herzen: "Fast alle zwei Monate treffen wir uns mit Religions- und Ethiklehrern, um mit ihnen über Israel, das Judentum und seine gesamte Geschichte zu sprechen." Und dafür nahm er sich auch an diesem Nachmittag Zeit. Dabei erklärte er nicht nur die wesentlichen Unterschiede zwischen Judentum und Christentum sondern erläuterte auch jüdische Feste und deren historischen Hintergrund. Im Anschluß daran hatten die Schüler die Möglichkeit, ihm Fragen zu stellen. Auf die Frage, ob Juden Deutschen gegenüber Hass empfinden würden, antwortete er: "Es ist nicht Hass, sondern Enttäuschung und Trauer." Sicherlich sei es nachvollziehbar, dass Menschen, die ihre gesamte Familie im Holocaust verloren haben, das Land nicht gerne betreten. Aber es gäbe auch Juden, die trotzdem in Deutschland leben wollen, da sie hier aufgewachsen sind.

verfasst von Claudia G.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2000/2001

Interview mit dem sächsischen Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl

Am 18.12.2002 ergab sich für drei Schüler des G.-E.-Lessing-Gymnasiums Döbeln/Sachsen die Möglichkeit den sächsischen Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl in seinem Leipziger Büro zu treffen. Sie stellten ihm Fragen zu seiner Person, zum jüdischen Leben in Sachsen und zur deutsch-jüdischen Vergangenheit.

Herr Rabbiner, vielleicht können Sie uns zu Beginn etwas über ihr bisheriges Leben erzählen !
Ich bin in Marokko geboren. Als ich drei Jahre alt war, musste meine Familie über Nacht aus Marokko nach Frankreich fliehen, weil es damals für Juden nicht leicht war, in einem islamischen Land zu leben. Von Frankreich ging es dann bald mit dem Schiff nach Israel. Dort hat mein Leben also praktisch im Kindergarten begonnen, es folgten schulische Ausbildung, Militärdienst und das Studium an einer Pädagogischen Hochschule.

War der Militärdienst damals Pflicht und wie haben Sie ihn erlebt ?
In Israel ist man stolz darauf, wenn man zum Militär geht und es ist ein Nachteil, wenn jemand das nicht macht. Ich hatte in der Armee eine sehr interessante Dienststellung, war Lehrer in einem Gefängnis. Dort habe ich unterrichtet und Vorträge gehalten. Das war eine herrliche Erfahrung für die Zukunft. Im Gefängnis zu unterrichten, ist nicht dasselbe, wie in einer Schule zu arbeiten. Es ist viel mehr als das. Die Häftlinge dort waren Analphabeten. Man musste ihnen erst einmal das Schreiben und Lesen beibringen. Damit sie dennoch über die politische Situation
Bescheid wussten, habe ich ihnen die Berichte und Nachrichten aus Zeitungen vorgelesen und dann über bestimmte Themen auch Vorträge gehalten. Die Häftlinge interessierten sich sehr für das, was „draußen" lief. Dort habe ich natürlich sehr viel Erfahrung im Umgang mit Menschen gesammelt.

Wie sind Sie danach Rabbiner geworden ?
Nach meinem Militärdienst bin ich 1971 für zwei Jahre nach London gegangen, wo ich studiert habe. In dieser Zeit lernte ich meine Frau, eine Deutsche, kennen. Ich weiß, dass meine Angehörigen damals streng dagegen waren, als ich meine Frau mit nach Israel brachte. Das war unangenehm. Aber ich habe doch gemacht, was ich wollte und gewonnen. Dann bin ich mit ihr nach Berlin gezogen, wo ich erst einmal Deutsch lernte. Das ist jetzt inzwischen 25 Jahre her. Drei Jahre danach sind wir nach Stuttgart gegangen, wo ich als Kantor, Religionslehrer und Jugendleiter der jüdischen Gemeinde tätig war. Die nächste Station war Köln, wo wir drei Jahre lebten, bis ich in Berlin eine Stelle als Kantor und Religionslehrer annahm. Dort arbeitete ich elfeinhalb Jahre. Während dieser Zeit habe ich an der Freien Universität studiert und gleichzeitig als Externer ein Rabbinatsstudium in Israel absolviert. Als ich am 1.3.1995 nach sieben Jahren dieses Studium abgeschlossen hatte, ging ich als Rabbiner ich in die USA, wo ich drei Jahre in zwei Gemeinden arbeitete. Aus familiären Gründen bin ich dann wieder nach
Deutschland zurückgekommen.

Sehen sie sich eher liberaler oder orthodoxer Jude?
Ich bin konservativer Jude. Das heißt: mit starker Tradition aufgewachsen. Das marokkanische Judentum war sehr streng. Ich kann nicht sagen, dass ich orthodox wäre, denn allein die Tatsache, dass ich in Deutschland lebe, spricht dagegen. Am Ende stehe ich den orthodoxen Juden aber wohl näher als den liberalen.

Der Landesrabbiner nahm sich für die Schülergruppe aus Döbeln Zeit und führte die kleine Delegation durch die Synagoge in der Keilstraße.

Wie kam es, dass Sie gerade in Sachsen Rabbiner wurden?
Am 1.1.1998 wurde ich hier Landesrabbiner. In Sachsen bietet sich erstens ein interessantes Aufgabenfeld und zweites ist es auch aus persönlichen Gründen für mich günstig. Ich wohne ja mit meiner Familie in Berlin, was wichtig für uns ist, da die Kinder hier z.B. eine jüdische Schule besuchen können. Die Entfernung zwischen Berlin und Sachsen ist so, dass man das ganz gut mit dem Auto bewältigen kann.

Was gehört zu ihren Aufgaben als Landesrabbiner?
Ich bin praktisch das Oberhaupt der Gemeinden. Ich muss diese im kulturellen und religiösen Bereich nach außen repräsentieren und die Gemeindemitglieder von der Geburt bis zum Tod begleiten. Zudem bin ich selbst Kantor, leite also auch die Gottesdienste.

Wie viele Gläubige gibt es in Sachsen?
In Sachsen haben wir drei jüdische Gemeinden. Davon ist Leipzig die größte. Dort sind es inzwischen 870 Gläubige, in Chemnitz und Dresden ca. je 500.

Wie schätzen Sie die derzeitige Situation der Juden in Deutschland ein ? Fürchten Sie neue Vorurteile oder Anfeindungen ?
Im Moment leben ca. 100 000 Juden in Deutschland, mehr als die Hälfte sind russische Zuwanderer. Juden in Deutschland haben natürlich auch mit Antisemitismus zu kämpfen. Ich kann nicht sagen, dass dieser verschwunden ist. Ich kann auch nicht sagen, wir hätten keine Angst. Ich habe in meinem Büro einen Überwachungsbildschirm und lasse keinen hinein, ohne zu schauen, wer da ist. Ich wohne hier 24 Stunden mit Polizeiwache und das ist unangenehm. Aber es ist noch keinen Grund, die Koffer zu packen und wegzugehen. Wir werden weiterhin hier leben und sind froh darüber, dass der Zentralrat der Juden, aber auch die politisch Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene sehr konsequent auf Anfeindungen reagieren.

Was tun Sie persönlich, um Vorurteilen entgegenzutreten?
Wie euch bekannt ist, besuche ich Schulen, halte Vorträge, nehme an Diskussionen teil, lade Interessierte zu Gottesdiensten ein und gehe auch in Gemeindehäuser. Wir machen viel gegen Vorurteile. Das Problem liegt oft im Mangel an Kenntnissen. Und deshalb ist es gut, dass in den sächsischen Schulen etwas getan wird, es gibt Projekte zum Judentum und Ausstellungen, die die Geschichte der Juden in Sachsen thematisieren. All das gab es früher nicht. Ich persönlich leite über einhundert Synagogenführungen im Jahr und das Interesse ist sehr groß. Ich weiß, dass die Gottesdienste gut besucht sind, auch von Nicht-Juden. Als wir am 09.11. an die Pogromnacht 1938 erinnerten, waren über 800 Leute da. An Friedensgebeten nehmen viele teil und ich glaube, wir haben zunehmend problembewusste Zuhörer. Und das alles zusammen zählt.

Wird die jüdische Religion in Sachsen von anderen Religionen akzeptiert?
Auf jeden Fall. Und ich glaube, dass jeder Pfarrer, der heute einer Gemeinde vorsteht, weiß, dass sich aus der NS-Vergangenheit eine besondere Verantwortung ergibt. Das sage ich aus Erfahrung, weil ich Kontakt mit sehr vielen Pfarrern in Sachsen habe.

Wie sollte man Ihrer Meinung nach heute mit dem Holocaust umgehen ? Was, glauben Sie, hält Juden in Deutschland, die diese Zeit hier erlebten?
Die Gefühle sind gemischt. Manche wollen das Land nicht mehr betreten und ich weiß genau: als ich Rabbiner in Amerika wurde, war die erste Frage: „Wie kannst du nur in Deutschland leben? Was hat ein Rabbiner dort zu suchen ?" Also es gibt Leute, die sind strikt dagegen. Sie wollen mit der Vergangenheit nichts zu tun haben und daher wollen sie auch nichts von Deutschland wissen. Aber natürlich gibt es auch Leute, die zurückgekommen sind. Die sagen: „Das ist mein Land, das ist meine Muttersprache". Mein Vater -er ist 94- gehört zu denen, Ignatz Bubis, Paul Spiegel und viele mehr. Ich habe mit dem Holocaust Gott sei Dank nichts zu tun gehabt. Doch es ist nicht schlecht, dass es heute noch Überlebende gibt, die ihre Leidensgeschichte erzählen können. Sie können praktisch das Horn blasen und rechtzeitig davor warnen, bevor
so etwas wieder passiert. Wir wissen ja, dass es in Deutschland Leute gibt, die wollen den Holocaust nocheinmal anfangen. Aber ich weiß auch, dass die deutsche Regierung um ihre Verantwortung weiß. Natürlich kann man nicht sagen, dass die Deutschen antisemitisch wären. Viele meiner Freunde sind Deutsche, mit denen ich zum Teil mehr befreundet bin als mit Juden. Dennoch müssen wir aufpassen. Ich selber appelliere oft an Pfarrer und Lehrer: Wir müssen alle wachsam sein ! Vor allem junge Menschen haben die Möglichkeit, die Zukunft zu gestalten. Die tragen natürlich, was den Holocaust betrifft, keine Schuld, aber sie müssen sich genau über diese Ereignisse informieren, damit sich Ähnliches nie mehr ereignet. Heute geht es nicht mehr nur um die Juden, sondern auch darum, wie man mit Ausländern und Minderheiten allgemein umgeht. Und deshalb sage ich: „Kinder, das schöne Deutschland könnt nur ihr selbst reparieren. Der Schlüssel liegt bei euch."


Das Interview wurde von Susann K. und Tino L. im Schuljahr 2002/2003 durchgeführt.