Isaac Bashevis Singer
"Literatur ist das Fenster zur Seele des Menschen."
Einleitung
Isaac Bashevis Singer lebte in einem Zeitraum, den man wohl als einen der aktivsten und unbeständigsten in der Geschichte der Menschheit bezeichnen könnte. Er verbrachte seine Kindheit in einem der ärmsten Viertel Warschaus. Bereits in den ersten Jahren seines Lebens kam er mit der zerstörerischen Wirkung des Krieges in Kontakt. Als er geboren wurde, bauten sich in Europa große politische Spannungen auf, welche die europäischen Staaten zu spalten begannen. Diese Spaltung führe zu großen Instabilitäten, die am 2. August 1914, 19 Tage nach Singers zehntem Geburtstag, zum Beginn des 1. Weltkrieges führen sollten. Der Krieg überzog den gesamten Kontinent und brachte 10 Millionen Menschen den Tod. Singer wandert in die USA aus, um den Kriegen zu entgehen, denn bereits 1939 geht von Deutschland der 2. Weltkrieg aus. Nun sollte eine schreckliche Ära des Totalitarismus und Faschismus folgen.
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Nach dem 2. Weltkrieg begann Singer in Amerika seine literarische Laufbahn, deren Höhepunkt ohne Zweifel die Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1978 darstellte. Am 24. Juli 1991 starb Singer, während sich ein neuer Krieg zwischen Amerika und dem Irak bereits abzeichnete.
"Man kann mehr Normalität von den absonderlichen Fällen erforschen." ( Singers Antwort auf die Frage, warum er oft jüdischen Hexen, Teufel und Prostituierte in seinen Büchern spielen ließ.)
Chronologie
1904 Singer wurde am 14. Juli in dem polnischen Dorf Radzymin in der Nähe von Warschau geboren. Seine Eltern waren Pinchos Menachem und Bathshba Zylberman. Sein Vater war Rabbi an der Hasid Schule und auch seine Mutter stammte ebenfalls aus einer Familie von Rabbis. Der vom Vater gelehrte Hasidismus (Haskala) kombiniert einerseits die strengen Regeln und Traditionen des Talmud und andererseits eine sehr lebensnahe, menschliche und erfahrungsbezogene Sichtweise des Lebens und der Religion. Diese jüdisch-aufgeklärte Betrachtungsweise spiegelt sich auch in Singers späterem literarischen Schaffen wieder.
1905 Im Januar kommt es in der polnischen Hauptstadt zu Unruhen.
1908 Singer und seine Familie ziehen nach Warschau.
1914 Der Erste Weltkrieg beginnt.
1917 Singer und sein Bruder Joshua ziehen mit ihren Großeltern in das Dorf Bilgoray. Sein Bruder, ein Schriftsteller, hilft ihm die geistige Freiheit und das Verständnis für politische, soziale und kulturelle Belange heranzubilden, die ein Schriftsteller für sein Schaffen benötigt. Die Eltern hingegen leben ihm das Vertrauen auf Gott vor. Der Bruch zwischen religiöser Tradition und der sozialen Realität, zwischen Mystik und gedanklicher Freiheit werden zum essentiellen Thema in Singers Kurzgeschichten und Novellen.
1921 Singer geht zurück nach Warschau und nimmt an religiösen Lehrstunden (Seminaren) des Vaters teil.
1923 Singer verlässt die Seminare bei seinem Vater und nimmt eine Arbeit beim jiddischen Literaturmagazin "Literarische Blätter" an.
1927 Singer veröffentlicht seine erste Arbeit.
1933 Hiterdeutschland beginnt die Hetzkampagnen gegen die jüdische Bevölkerung.
1934 Singer veröffentlicht seine erste größere Arbeit mit dem Titel "Shoten an Goray" (Satan in Goray). Die Arbeit basiert auf seinen Erfahrungen in Bilgoray und erscheint als Serie in der jüdischen Zeitung "Globus" kurz bevor der Autor in die Vereinigten Staaten auswandert. Das Buch erzählt von einem falschen Messias, der Massenhysterie um ihn, seinem Aufstieg und Fall, dem Zerbrechen von Illusionen und Träumen und vom Verlangen der Menschen nach Klarheit. Seither ist eines der Hauptthemen Singers die "...Tyrannei des Verlangens..." und deren Auswirkungen auf die Menschen. Er personifiziert diese Verlangen als Dämonen, Geister und alle Arten von übernatürlichen Kräften, und Singer selbst sagte, daß er an deren physische Präsenz glaube.
1935 Singer wandert nach Amerika aus. Er muss seinen unehelichen Sohn in Polen zurücklassen und wohnt vorerst bei seinem Bruder Israel Joshua in New York. Er heiratet und arbeitet für den "Jewish Daily Forward", eine jüdische Zeitschrift. Er entschließt sich Vegetarier zu werden.
1939 Der Zweite Weltkrieg beginnt.
1940 Am 14.Februar heiratet Singer Alma Haimann.
1943 Singer wird offiziell Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika.
1944 Israel Joshua stirbt an einer Herzattacke. Singer sagte, er hätte seinen "geistigen Vater" verloren.
1945 Der Zweite Weltkrieg endet. Schätzungsweise 5.7 Millionen Juden starben in deutschen Konzentrationslagern und während des Krieges.
1950 Die erste von Singers Novellen "Die Familie Mushkat" (The Family Moskat) wird in englischer Sprache veröffentlicht und seine internationale Popularität beginnt zu wachsen.
1953 "Gimpel the Fool", eine von seinen zahlreichen phantastischen Kurzgeschichten, wird im "Partisan Review" veröffentlicht.
1961 "The Spinoza of Market Street" erscheint.
1965 Singer wird der "French Foreign Bool Prize" verliehen.
1967 Singers Werk "The Manor" erscheint. Der Autor beginnt einige seiner Kurzgeschichten für Kinder als Tonaufnahmen zu publizieren. Er erhält diverse Auszeichnungen für seine Arbeit.
1969 Das Buch "The Estate" bildet den Abschluß der epischen Trilogie (The Family Moskat, The Manor, The Estate ) , welche, vergleichbar mit Thomas Manns "Buddenbrooks", beschreibt, wie alte Familien durch neue Zeitalter finanziell, sozial und menschlich gespaltet werden. Aber Singers Chroniken sind wesentlich farbiger und reicher charakterisiert. Des Autors unerschöpfliche psychologische Fantasie kreiert einen Mikrokosmos, oder besser ein Mikrochaos, von unabhängigen und außerordentlich überzeugenden Charakteren.
1970 "A Friend of Kafka" erscheint.
1973 "A Crown of Feathers" erscheint.
1978 Singer wird der Literaturnobelpreis verliehen.
1990 Seine Geschichte "Enemies" wird verfilmt. Das alltägliche Leben ist hier durchwoben mit Wundern und Träumen, der Moment der Gegenwart mit dem Blut der Vergangenheit.
1991 Singer stirbt am 24.Juli im Alter von 87 Jahren.
Familiäre Prägung
Das Singersche Familienklima war von religiöser Ernsthaftigkeit, humorvoller Toleranz, rationaler Aufgeklärtheit, weltlicher Bildung und mystischem Wissen gekennzeichnet und formte den späteren Schriftsteller. Es bestanden enge innerfamiliäre Bindungen, die durch das Leben im Schtetl noch gestärkt wurden. Außerdem musste Singer für sich den richtigen Weg zwischen den von seinem Bruder Joshua gelehrten rationalen Blickwinkeln auf die Religion von z.B. Spinoza und des ihm von seinen Eltern vorgelebten Vertrauens auf Gott finden.
Gedanken zu Politik und Kultur
Singer bezeichnete sich selbst als politisch konservativ. Er war der Auffassung, dass wenn Geschichten zu sehr predigen, die Leser schnell gelangweilt seien und die Geschichte die gewünschte Wirkung verfehlen würde. Er sagte einmal: "I have never seen a single political novel which came out very well ..." (Ich habe nie eine politische Geschichte gesehen, die beim Leser wirklich gut angekommen wäre...) Singer war der Auffassung, dass sich eine starre politische Meinung nicht positiv auf das Schaffen eines Schriftstellers auswirken kann. Er fühlte sich nicht einer politischen Meinung oder einem politischen System zugehörig, sondern einem Glauben. "Ich schäme mich nicht, daß ich ein Jude bin, ganz im Gegenteil, ich bin stolz. Ich schreibe über Juden und ich schreibe in jiddischer Sprache...". Singer glaubte, daß jemand, der über sein kulturelles Erbe nicht Bescheid weiß, niemals ein guter Schriftsteller sein könne. Er sah die Literatur als ein Mittel, um kulturelle und politische Differenzen überbrücken zu können.
"Jiddisch beinhaltet Vitamine, die andere Sprachen nicht haben."
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Literarische Einflüsse
Singer hörte in seiner Kindheit gewöhnlich den Geschichten seiner Tante Yentl zu, so lernte er früh, wie Geschichten die Menschen zusammenbrachten, sie unterhielten und erleuchteten. Er wurde in eine geschichtenerzählende Kultur geboren, welche seine Vorstellungskraft füllte. Singer war 10 als der erste Weltkrieg begann und er war ein Teenager während der Russischen Revolution. Sein Großvater, ein orthodoxer Rabbi in Bilgoray, lehrte ihn die Geschichte und Welt des Judentums. Singer sagte einmal: "Ich fand einen Schatz. Ich hatte die Chance unsere Vergangenheit zu sehen, wie sie wirklich war. Ich lebte jüdische Geschichte." Mit 12 las Singer Dostojewskis "Schuld und Sühne". Als er älter wurde, beschäftigte er sich mit den Arbeiten von Autoren wie I.L. Peretz, Sholem Alejchem und dem norwegischen Schriftsteller Knut Hamsun. Er verehrte Dichter wie Poe, E.T.A. Hoffmann und Maupassant. Singer glaubte, dass die besten Schriftsteller, wie Tolstoi, Dostojewski und Gogol eng mit Ihren Wurzeln verbunden seien.
LITERARISCHE QUELLEN
Allison, Alida. Isaac Bashevis Singer: Children’s stories and Childhood Memoirs. New York: Twayne Publishers, 1996.
Burgin, Richard. Conversations with Isaac Bashevis Singer. New York: Doubleday & Company, Inc, 1985.
Kresh, Paul. Isaac Bashevis Singer, The Story of a Storyteller. 1st ed. E. P. Dutton, 1984.
Mckay, John P., Bennett D. Hill and John Buckler. A History of Western Society. 6th ed. Vol 2. Houghton Mifflin Company 1999. 2 Vols.
Schlesinger, Arthur M. Jr. Chronicle of the 20th Century. New York: Dorling Kindersley, 1995.
Singer, Isaac Balshevis. Der Fatalist: Anhang von Jürgen Rennert. Leipzig;1980.
"Verloren in Amerika"
Isaak Bashevis Singer
„Ich hatte schon öfter daran gedacht, über mich selbst zu schreiben, so wie ich wirklich bin aber ich war davon überzeugt, daß mich die Leser, die Verleger und die Kritiker( im besonderen die jiddischen) für einen pornographischen Schriftsteller halten würden, einen Aufschneider, kurz, für verrückt.“
Einleitung
Als „ Fiktion vor einem Hintergrund von Wahrheit“ betrachtete Isaac Bashevis Singer, der 1978 den Nobelpreis für Literatur verliehen bekam, seinen autobiographisch gefärbten Roman „Verloren in Amerika“.
Seine Erzählung wurde 1976 erstmals in New York in jiddischer Originalversion und als englische Ausgabe veröffentlicht.
„Verloren in Amerika“ unterteilt sich in drei Abschnitte, die auch verschiedene Lebensetappen kennzeichnen. Kindheit und Jugendzeit schildert der Ich-Erzähler unter dem Titel „ Ein kleiner Junge auf der Suche nach Gott“. Die Sturm und Drang-Zeit des jungen Mannes und Schriftstellers spielt sich im Teil „Ein junger Mann auf der Suche nach Liebe“ ab. Über den Weggang aus seiner Heimat nach Amerika und das Leben im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ berichtet der Abschnitt „ Verloren in Amerika“. Dieser letzte Teil des Romans verleiht ihm gleichsam seinen Titel, auf Grund der verstärkt zum Ausdruck kommenden allgemeinen Vereinsamung und Orientierungsschwierigkeit der Hauptperson des Buches, Isaac Bashevis Singer selbst, die sein Leben prägt.
Inhaltsangabe
Isaac, die schüchterne Hauptperson, wächst in Polens Hauptstadt Warschau am Anfang unseres Jahrhunderts auf. Er entstammt einer Familie von Rabbinern, Chassidim und Kabbalisten. Seine Eltern sind arm, Hunger ist ein ständiger Begleiter. Isaacs Kindheit ist geprägt von dem Konflikt zwischen Religiösität und weltlichen Erklärungen. Sein Vater ist ein frommer Jude, der den aufklärerisch-philosophischen und an der Wissenschaft orientierten Einfluss des ältesten Sohnes Josua widerwillig duldet. Isaacs Mutter hingegen zeigt sich offen für empirische Wahrheiten und ist in der Mystik bewandert.
Bald schon beginnt Isaac selbst begierig und unnachgiebig nach der rechten Wahrheit zu suchen. Sein Wissens- und Lesedrang verdrängt jedweden Hunger oder die Furcht, vom Vater beim Forschen entdeckt zu werden. Er erkennt, daß Gott auch Leid schuf und beginnt an dessen Göttlichkeit zu zweifeln.
Woher kommt die Welt? Wer schuf die Menschen? Warum gibt es Leid? Warum lässt Gott dieses zu? Nicht einmal Philosophen, wie der von ihm geehrte Gotteszweifler Spinoza, können Isaac darauf antworten. Eine absolute Wahrheit existiert nicht, erkennt er, seine Suche aber endet nicht. 1923 erhält er eine Anstellung als Korrekteur bei der Warschauer Zeitschrift „ Literarische Blätter“. Isaac lebt arm, krank und hungrig. Er als „hungriger Edelmann“ bittet nicht um Hilfe, vor allem nicht seinen Bruder. Er sehnt sich nach einer Geliebten, da ihn die Frauen anziehen und die Kabbala selbst die Vereinigung von Mann und Frau als göttlich betrachtet. Vor der Kälte findet er in Schriftsteller–Klubs und Bibliotheken Zuflucht. Isaac schließt eine enge Freundschaft zu dem religiös–mystischem Dichter Aaron Zeitlin und beginnt sich mit Parapsychologie zu befassen.
Auf der Suche nach einem billigen Zimmer lernt er die beinahe 20 Jahre ältere Spiritistin Gina Halbstark kennen. Sie wird seine erste Geliebte und Vertraute. Gina scheint von Friedhöfen besessen zu sein und frisst ihn letztendlich mit ihrer Liebe auf.
Um dem Einzug zum Militär zu entgehen, beginnt Singers Held zu hungern, was ihm den einjährigen Aufschub verschafft. Er entschließt sich wie Josua jiddischer Schriftsteller zu werden und eine „Umwertung aller Werte“ vorzunehmen.
Gina entwickelt sich zunehmend zur kontrollierenden „Ehefrau“, die den jungen Mann mit ihrer Gier nach Liebe und Sex überanstrengt. Isaac braucht mehr Zurückgezogenheit und sucht sich eine neue Bleibe, was Gina das Herz bricht. Sie wird zur gleichgültigen Einsiedlerin und stirbt nach einiger Zeit. Als erneut der Militäreinzug droht und die Lage für polnische Juden unerträglicher wird, befasst sich Isaac mit dem Gedanken nach Erez Israel auszuwandern. Er macht Bekanntschaft mit Penna Stefa, die ihrem Liebsten nachreisen will und schwanger ist. Die Ausreisepapiere erhält sie nur bei Heirat, für die Isaac in Frage kommt. Letztlich findet die Vermählung nicht statt, weil sich Stefa zur Heirat mit einem reichen alten Kaufmann entschließt. Das Zielland der Ausreise wird Amerika, wohin bereits Josua mit Familie emigrierte. Die langsame Bürokratie allerdings hindert Isaac.
Die 30-er Jahre sind angebrochen. Der junge Literat ist verzweifelt und süchtig nach Spannung. Er gilt noch immer als Bruder des Schriftstellers Josua Singer, worunter er leidet. Literatur muss für ihn die Zeit beschreiben und den Lebenshunger widerspiegeln können. Er will mit seinen Arbeiten die Welt nicht verbessern. Liebe und Literatur sind seine einzigen Idole. Für seinen Roman „Satan in Goraj“ bekommt er großes Lob.
Vielerlei Liebschaften und einen Sommer mit der lesbisch–mannhaften Trotzkistin Lena, die von ihm schwanger wird, verlebt Isaac, der „schüchterne Abenteurer“, vor seiner Abreise gen Amerika im April 1935. Auf seinem Weg Richtung Westen durchquert er Deutschland, das „Land der Inquisition“, und macht an Bord seines Überfahrtsschiffs Bekanntschaft mit der Warschauerin Zosia.
Die beiden freunden sich an, werden einander vertraut und Isaac löst sich aus der Einsamkeit des Überfahrers. Während der Seereise beschließt er zudem Vegetarier zu werden.
Amerika empfängt ihn überströmend - laut. Die Familie seines Bruders leidet noch immer unter dem Tod des ältesten Sohnes. Singers Hauptfigur fühlt sich fremd und verloren, Heimaterinnerungen übermächtigen ihn. Seine jüdische Abgegrenztheit wird ihm bewusster denn je.
Der „Jewish Daily Forward“, bei dem Josua arbeitet, bietet ihm eine Anstellung an. Isaacs Arbeit an einem Fortsetzungsroman kommt bald ins Stocken und Josua stellt seinen Bruder vor diese Tatsache, der er versucht zu entfliehen. Daraufhin liefert unsere Hauptfigur seine Berichte nur noch spätabends ab. Zudem steht die Ausweisung kurz bevor, da das Visum nicht verlängert wird. Nur eine Reise nach Kanada kann die benötigten Papiere beschaffen.
Zosia begleitet Isaac nach Toronto. Der Coup glückt und beide feiern. Da die geplante Entjungferung Zosias nicht gelingt, breitet sich Entfremdung zwischen beiden aus.
Noch immer plagt den einfach und ärmlich hausenden Schriftsteller die Suche nach der Zauberformel zur Lösung der Rätsel dieser Welt. Er lebt einsam, abgegrenzt von der Gesellschaft mit Büchern dahin. Zwar verschafft ihm das Arbeiten als Co-Regisseur eines Theaterstücks kurzzeitig Geselligkeit und die Verehrung der Jiddischisten, bald aber fällt er in Melancholie zurück. Isaac ist faul, des Lebens müde und grübelt. Als ihn ein Telegramm Lenas erreicht, die ihn darin zur Alimentenzahlung für den gemeinsamen Sohn auffordert, durchdringt ihn der Gedanke mit dem Singers Roman gleichzeitig endet: „Ich bin verloren in Amerika, verloren auf immer.“
Singers Stil
„Verloren in Amerika“ zeugt von Klarheit, da zumeist einfach Sätze das Seitenbild bestimmen. Die Unterteilung in Kapitel erhöht zudem die Anschaulichkeit und gibt Zeit zum Verarbeiten und Verschnaufen. Singer beschreibt Menschen, abstrakte Erklärungen und Denkweisen eindrücklich sowie verständlich und schafft somit die Spannung, nach der ebenfalls seine Hauptfigur giert. Durch den verwendeten Ich–Erzähler bekommt der Leser engeren Bezug zur Handlung und seinen Gedanken. Das Buch ist durchzogen von Verweisen auf andere jiddische Literatur, z.B. von Perez und Scholem Aleichem. Einhergehend mit der selbstverständlichen Verwendung religiöser und jüdischer Begrifflichkeiten erfordern diese eine gewisse Vertrautheit mit dem Judentum. Hat man diese, so strahlt „Verloren in Amerika“ Anziehungskraft und Harmonie aus.
Prägende Themen des Buches
Liebe und Sexualität spielen für die Hauptfigur Singers eine große Rolle, für ihn als Mann, Liebeshungrigen und für ihn als Schriftsteller. Er will es anders machen – seinen Trieben beinahe freien Lauf lassen und die jiddische Literatur enthemmen. „Über Liebe zu schreiben und Sex auszuklammern, ist ein sinnloses Unterfangen.“
Er erkennt, daß ein Schriftsteller nur über das gut schreiben kann, was er gut kennt. Drei Kriterien stellt er für seine literarischen Arbeiten auf:
1. Sie müssen eine spannende und genaue Handlung haben.
2. Der Autor muss den leidenschaftlichen Wunsch haben, diese Werk zu schreiben.
3. Der Verfasser muss denken, der einzige sein zu können, der dieses besondere Thema behandeln kann.
Deutlich zu erkennen ist ebenso Isaacs innerer Konflikt zwischen dem Glauben an Gott und dem Unglauben an ihn. Sein Elternhaus gab ihm Religiösität mit, doch Gott fehlt es nach seiner Einschätzung am allgegenwärtig Guten. Das alte, traditionelle steht dem neuen, ungehemmt – exzentrischen gegenüber. Die Wissenschaft stellt zudem die Schöpfung in Frage und auch die Philosophie und Parapsychologie tragen zum Zweifeln Isaacs bei.
„Daß ich diesen Glauben nicht besitze, das ist die Geschichte, die ich hier erzählen will.“ Die politischen Hintergründe spielen in das Geschehen stets mit hinein und so lernt man viel über die polnische Landesgeschichte und die Rolle der Juden darin, über den russischen Konflikt zwischen den Marxistischen Splittergruppen und über die Gräueltaten Hitlers, Stalins, Mussolinis und Chmielnizkys.
In engem Zusammenhang damit steht die Judenverfolgung, der eigene Selbstwert Isaacs und die Anpassung der Juden an neue Lebensumstände. Singer fragt eindringlich nach den Gründen für all den Judenhass und will doch nur Frieden, endlich Ruhe. „Ich träumte von einem Stern, auf dem man das Wort „Jude“ noch nie gehört hat. Welche böse Tat haben die Juden vollbracht, daß man sich ihrer schämen muß?“
Meine Meinung „ Verloren in Amerika“ las ich in sehr kurzer Zeit, auch weil es mich ansprach und zeitweise regelrecht fesselte. Es weist Qualitäten auf, die ich persönlich an Büchern schätze; eine Vielfalt an verschiedenen Entwicklungen – Philosophisches, Persönlichkeitsentfaltendes, Beziehungsbetreffendes.
Isaac legt dem Leser seine Liebesbeziehungen dar. Er sagt wortwörtlich, daß körperliche Beziehungen mehr über eine Liebespartnerschaft aussagt als angenommen. Das Verhältnis zu seinen Brüdern und seinen Eltern lässt sich deutlich umreißen und auch sein Verhältnis zu sich selbst blitzt indirekt bzw. zwischen den Zeilen hervor.
Die ihn beschäftigenden grundlegenden Fragen des Universums spornten auch mich zu neuen Betrachtungsweisen an. Ich bin nicht gottgläubig, teile aber Isaacs Verehrung für Literatur und betrachte die Liebe als Hauptantrieb meines Lebens. Mit Spinoza habe ich mich noch nicht ausführlich beschäftigt, habe jedoch durch die Augen eines Zweiflers schauen können und verstanden.
Mit der Person Isaac Bashevis Singers kann ich mich eng identifizieren. Ich teile den Vorzug des Vegetarierdaseins, aus der ähnlichen „ Ehrfurcht vor dem Leben“ heraus. Zudem möchte auch ich mit meinen journalistischen Versuchen nicht mehr belehren, sondern aus der Sicht eines Kenners schildern. Während meines einjährigen Aufenthaltes in den USA bemerkte auch ich viel Negatives. So fiel mir beim Lesen auf, dass mit zunehmender Eingliederung im Westen auch die Bedeutung des Essens, des Kaffees und der Cafeterias zunahm, obgleich ein Schriftsteller doch nicht fürs Essen lebt. Vielleicht hat ihn der volle Magen beim Schreiben blockiert.
Schade fand ich, dass Singer nicht zu viel von sich preisgibt, obgleich ich ihm Privatsphäre zugestehe. Teilweise erschien mir der Charakter Isaacs zu flach, sein Sich–selbst– Kennenlernen stagnierte bzw. konnte nur weitergedacht werden durch den Verlauf der Handlung. Ich hätte mir noch mehr gewünscht, obwohl dies schwer umzusetzen sein mag.
Zum Ende hin entstanden auch große Lücken das Geschehen betreffend. Es passiert nicht täglich dasselbe. Entwicklungen, wenn auch eventuell äußerlich nicht sichtbar, gehen von- statten. Schade, doch vielleicht wollte Singer die nähere Vergangenheit für sich behalten, deshalb fand in diesem sehr eng an sein Leben angelegten Werk seine Frau wohl auch keine Erwähnung. Nun gut, ihm steht es zu, sich zu bewahren. Zusammenfassend möchte ich „ Verloren in Amerika“ als sehr lesenswert einstufen. Man bekommt ein ausgeprägteres Verständnis für Jüdischkeit, das Leben Singers und sich selbst. Dieses Buch treibt einen voran, wenn man sich auf die nicht direkt geäußerten Fragen einlässt und genau das macht ein gutes Buch aus.
verfasst von Juliane H.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 1999/2000