Peter Weiss

Kurzbiographie

Peter Weiss, 1982 / Dietbert Keßler / Public domain

1916
8. November: Peter Weiss wird als Sohn eines zum Christentum übergetretenen jüdischen Textilfabrikanten ungarischer Herkunft und einer Schauspielerin Schweizer Herkunft in Nowawes bei Berlin geboren.

1935
Zusammen mit der Familie Emigration nach England. Besuch der Politechnic School of Photographie.

1936
Emigration nach Prag, wo er bis 1938 an der Kunstakademie studiert.

1938
Oktober: Nach der Besetzung des Sudetenlands durch die deutsche Wehrmacht emigrieren die Eltern nach Schweden. Weiss geht vorerst in die Schweiz.

ab 1939
Emigration nach Schweden, wo er sich in Stockholm niederlässt und bis zu seinem Tode lebt. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich unter anderem als Textilmusterzeichner und an privaten Malschulen.

1946

Weiss erhält die schwedische Staatsbürgerschaft.

1947
Als Korrespondent der "Stockholms-Tidningen" geht Weiss nach Berlin

1949

Weiss schreibt das Hörspiel "Rotundan", das 1950 in Schweden uraufgeführt und 1967 erstmals deutschsprachig aufgeführt wird.

1952
Der Mikroroman "Der Schatten des Körpers des Kutschers" erscheint.

1961
Veröffentlichung des autobiographischen Romans "Abschied von den Eltern".

1963
Für den autobiographischen Roman "Fluchtpunkt" wird Weiss mit dem Schweizer Charles-Veillon-Literaturpreis ausgezeichnet.

1964
April: Die Uraufführung von "Die Verfolgung und Ermordung Jean- Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade".

1965

19. Oktober : Gleichzeitige Uraufführung des Oratoriums "Die Ermittlung" in West- und Ostberlin. Das erfolgreiche Stück wird auch in England, Schweden und New York aufgeführt. Das Werk stellt eine szenische Dokumentation des Frankfurter Auschwitz- Prozesses dar. Verleihung des Lessing- Preises der Freien und Hansestadt Hamburg.

1966
Auszeichnung mit dem Heinrich- Mann- Preis der Deutschen Akademie der Künste, Ost-Berlin.

1967

Uraufführung des politischen Musicals "Der Gesang vom Lusitanischen Popanz".1970Uraufführung des Schauspiels "Trotzki im Exil" in Düsseldorf.

1971

Uraufführung des Stückes "Hölderlin" in Stuttgart.

1975-1981
Nach einer Publikumspause von vier Jahren veröffentlicht Weiss den ersten Band der Trilogie "Die Ästhetik des Widerstands". Der zweite Band folgt 1978 und der dritte 1981.

1982
Bei der Uraufführung seines letzten Theaterstückes "Der neue Prozess" in Stockholm führt Weiss selbst Regie.
10. Mai: Peter Weiss stirbt im Alter von 65 Jahren in Stockholm. Weiss wird postum mit dem Georg- Büchner- Preis ausgezeichnet.

Peter Weiss "Die Ermittlung"

Das dokumentarische Theater, welches ein Theater der Berichterstattung ist, enthält sich jeder Erfindung. Es übernimmt authentisches Material und gibt dies, im Inhalt unverändert, von der Bühne aus wieder.
Zumeist wird eine Auswahl von politischen oder sozialen Themen auf der Bühne gezeigt. Die Qualität der dokumentarischen Dramatik macht die kritische Auswahl aus. Dazu kommt außerdem noch das Prinzip, nach dem die Ausschnitte der Realität montiert werden.
Das dokumentarische Theater, welches Bestandteil des öffentlichen Lebens sein will, legt Fakten zur Begutachtung vor. Es zeigt die verschiedenartige Aufnahme von Vorgängen und Äußerungen.

In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Deutschland setzte zu Beginn der sechziger Jahre eine deutliche Änderung des vergangenheitspolitischen Klimas ein. Dabei stellt der erste Frankfurter Auschwitz- Prozess, als wichtigster Versuch einer strafrechtlichen Verfolgung der NS- Verbrechen, einen Wendepunkt dar.
Vom Dezember 1963 bis August 1965 fand in Frankfurt unter der offiziellen Bezeichnung "Strafsache gegen Mulka und andere" der Auschwitz- Prozess statt. 22 Angeklagte standen vor Gericht. 359 Zeugen wurden gehört. Unter den Zuschauern befand sich zeitweise auch Peter Weiss. Seine Beobachtungen und die täglichen Zeitungsberichte bilden die Grundlage für "Die Ermittlung". Diese szenische Dokumentation der Auschwitz- Prozesse wurde am 19.Oktober 1965 an fünfzehn ost- und westdeutschen Bühnen gleichzeitig uraufgeführt.

Peter Weiss sagte selbst, dass "Die Ermittlung" von dem handelt, "was in Auschwitz, dem, was in Frankfurt, und dem, was in einen Mann vorgegangen ist, der in Frankfurt war."
"Die Ermittlung" besteht aus einer exakt ausgeklügelten Bilderabfolge, die das Häftlingsschicksal von der Rampe bis in die Todeskammer verfolgt.
In dem Oratorium in 11 Gesängen, wie es auch genannt wird, herrscht ein Alternieren von Lokalbeschreibung (Rampe, Lager, Bunkerblock, Feueröfen), von Marter- Darstellung (Schaukel, Schwarze Wand, Phenol, Zyklon B) und von Folterknecht- und Häftlingsgesang vor.

Die Ermittlung konfrontiert das Publikum mit den Worten der Täter und mit den Erinnerungen der Opfer. Darüber hinaus will der Autor, dass der Dramentext Teil des Gedächtnisses des Lesers wird. Weiss gibt den Vorgang der physischen Vernichtung in den Gaskammern und den Krematorien von Auschwitz, einschließlich der Leichenfledderung mit äußerster Genauigkeit wieder. Er vermittelt den objektiven Schrecken, zugleich aber vermittelt er erkenntnismäßige Zusammenhänge.

Die heftigen Reaktionen der Öffentlichkeit zeigten, wie sehr dieses Kapitel deutscher Vergangenheit in den zwanzig Jahren seit Kriegsende verschwiegen worden war.
"Zwingt 'Die Ermittlung' uns, auf die Gegenwart zu reflektieren ? Entlarvt sie die Gesellschaft, der die Gräueltaten zuzuschreiben sind ? Macht sie Gründe sichtbar ? Weist sie Prämissen nach ? Zeigt Konsequenzen auf ?"

Peter Weiss' Auschwitz-Oratorium Die Ermittlung am Staatstheater Nürnberg (Katakomben der Kongresshalle, Reichsparteitagsgelände), Juni 2009, ausgezeichnet mit dem Nürnberger Theaterpreis (Produktionspreis, 24.10.2010), Regisseurin: Kathrin Mädler, Fotografin: Marion Bührle

Foto: Marion Bührle / CC BY-SA 3.0 DE

Der Frankfurter Auschwitz-Prozess

Der Prozess begann am 20.12.1963. Er stellt ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte dar und ist das bisher größte Strafverfahren, dass die Beteiligung am nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden ahnden sollte. Zu den Prozessen gab es eine vierjährige Vorbereitung, wobei 1300 Zeugenaussagen gesammelt wurden und die gesamte Weltöffentlichkeit verfolgte das Geschehen in Frankfurt/M.. Während des Prozesses wurden noch 359 Zeugen aus 19 Nationen vernommen, die grausame Realität der NS-Vernichtungsmaschinerie wurde deutlich. 20 Personen wurden des Mordes oder der Beihilfe zum Mord angeklagt. Besonders erschreckend ist die Tatsache, dass die Angeklagten oftmals alles abstritten, leugneten oder sich sogar amüsierten und letztendlich keine Schuld und keine Reue zeigten. Die Täter, z.B. Oswald Kaduk, Josef Klehr, Robert Mulka und Karl Höcker, hatten scheinbar alles vergessen. Die Opfer hingegen mussten während der Zeugenaussagen Lähmungen, Entsetzen, Atemnot und Weinkrämpfe durchleben. Erst nach 20 Monaten wurde das Urteil verkündet - am 19. August 1965. Dabei erhielten 6 Angeklagte eine lebenslange Haftstrafe, elf wurden zu Zuchthausstrafen zwischen 3 und 14 Jahren verurteilt, 3 Angeklagte wurden freigesprochen.

Zudem ist zu erwähnen, dass z.B. Josef Klehr in 475 Fällen des Mordes und der Beihilfe zum Mord in 1980 Fällen für schuldig erklärt wurde. Oswald Kaduk wurde des zehnfachen Mordes und der Beihilfe zum Mord in über eintausend Fällen für schuldig befunden. Beide starben in Freiheit (sie wurden aus gesundheitlichen Gründen 1988 und 1989 aus der Haft entlassen). Die Schreibtischtäter tauchten weder in Frankfurt noch später bei NS-Prozessen auf. Die Hauptangeklagten des Prozesses bildeten so oftmals die untersten Glieder der Kette des Massenmordes. Letztendlich wurden die meisten Mörder nicht gefasst !

Allgemein war eine große Empörung über die milden Urteile anzutreffen. Andererseits wurde ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit gefordert. Trotz der milden Urteile wird anerkannt, dass die Gerichte nur Verbrecher verurteilen können, die nachweisbar am Massenmord der Juden beteiligt waren. In diesem Prozess werden die Grenzen der Justiz in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in den Verfahren deutlich.


verfasst von Kitty H. / Katharina G.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002