Erich Fromm

„Solange es Leben gibt, solange glaube ich an die Hoffnung, dass das Potential, das in uns angelegt ist, wieder durchbrechen wird, sich wieder äußern wird. Solcher Glaube hängt davon ab, wie viel jeder bei sich selbst von dieser Hoffnung spürt und miterlebt und sie damit anderen in gewisser Weise mitteilen kann.“ Erich Fromm

Erich Fromm (1974)

Erich Fromm erblickte am 23.03.1900 in Frankfurt am Main das Licht der Welt. Sein Vater, Naphtali Fromm, war ein orthodox-jüdischer Obstweinkaufmann und seine Mutter, Rosa (Krause), stammt aus einer Familie russischer Emigranten, die später in Finnland zum jüdischen Glauben übergetreten sind. Seine häufig überängstlichen Eltern spielten eine große Rolle im Leben Fromms.

Foto: Müller-May / Rainer Funk / CC BY-SA 3.0

Die Stimmigkeit des religiösen jüdischen Lebens beeindruckte Fromm tief. Sein Großvater war ein Rabbi und sein Onkel ein Talmudforscher. Die religiöse Existenz, die vom Vater beispielhaft vorgelebt wurden, beeinflussten Fromm sein Leben lang. „Unter einem religiösen Leben verstehe ich dasselbe wie die Propheten und Jesus: Gerechtigkeit tun, die Wahrheit sagen, den Mitmenschen lieben. ... Die Religion hingegen ist gewöhnlich etwas, was sich die Menschen als Institution hier auf die Seite stellen, wo sie dann religiös sind. [...] Man hat keine Religion, wie man einen Besitz hat oder wie man einen Staat hat....“ Bereits früh begann er Talmud-Studien bei Rabbi Horowitz. Später führte er diese bei Rabbi Nehemia Nobel fort, welcher ihm mit Ernst Simon, Siegfried Kracauer, Franz Rosenzweig, Leo Löwenthal und Martin Buber bekannt machte. Die Tora und Schriften der Propheten wurden für Fromm Visionen des universalen Friedens.

Nach seinem bestandenem Abitur 1918 begann Fromm ein Jurastudium in Frankfurt. Im Sommer 1918 wechselte er nach Heidelberg, wobei der akademische Lehrer Alfred Weber und der Talmud- Lehrer Salmon Baruch Rabinkow sein Leben bereicherten. Heidelberg wurde eine der wichtigen Stationen im Leben Fromms. Rabinkow wurde für Fromm zur Personifikation eines am Sein orientierten Menschen. Außerdem verschmolzen unter dessen Eindruck Fromms soziologischen, psychologischen und philosophischen Studien zu einer „jüdischen Synthese“, die Humanismus, Sozialismus und Mystik, sowie eine konservative religiöse Lebenspraxis in einer Gemeinschaft verband. Mit der Arbeit „Das jüdische Gesetz“ promovierte Fromm 1922 bei Alfred Weber zum Dr.phil. Weiterhin studierte er von 1922 bis 1926 in München Medizin.

1924 lernte Fromm in Heidelberg Frieda Reichmann kennen und heiratete sie im Jahr 1926. Im selben Jahr wandte er sich vom orthodoxen Judentum ab, wobei jener Bruch keine Abkehr von der Religion schlechthin bedeuten sollte. Anschließend eröffnete er 1930 in Berlin eine psychoanalytische Praxis. Zwei Jahre später trennte er sich von seiner Frau, wobei zu erwähnen ist, dass er selbst nach der Scheidung (1940) noch freundschaftlich mit ihr verbunden blieb. Unter dem Hitlerregime war er zum Auswandern gezwungen worden. So kam es, dass er 1934 bis 1939 Gastdozent an der New Yorker Columbia University war und 1940 sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.

Nachdem er 1934 in die USA emigrierte, wurde er dort nach Jung und Freud zum wichtigsten Vertreter der Psychoanalyse. Freud zeigte ihm eine neue Welt- die Welt des Unbewussten. Fromm wurde klar, dass das, was uns bewusst ist, ein geringer Teil von uns ist. Für Freud gab es zwei verschiedene Arten des Unbewussten: einmal das Vorbewusste, sozusagen das, was im Augenblick nicht bewusst ist, aber bewusst sein könnte, und das Unbewusste in Hinsicht des Verdrängten, was durch eine Kraft in uns gehindert wird, ins Bewusstsein zu treten.

In seinem Buch „Die Furcht vor der Freiheit“ von 1941 bezog Fromm deutlich Position gegen den Nationalsozialismus. Weitere erwähnenswerte Bücher sind „Die Kunst des Liebens“ (1956), sowie „Haben und Sein“ (1976). Später agierte Fromm als Dozent am amerikanischen Institut für Psychoanalyse (1941-1942), lehrte am Bennington-College in Vermont (1948-1950), wobei er sich zu dieser Zeit verstärkt ethischen und religiösen Themen unter humanistischen Aspekten widmete, und war von 1958 bis 1962 als Professor an der Michigan State University sowie 1951-1965 an der Nationalen Universität von Mexico tätig.

1953 heiratete Fromm Annis Freeman, mit welcher er nach Cuernavaca in die Nähe von Mexico-City zog. „Liebe hat keinen Zweck... . Deshalb ist Liebe auch heute sehr selten die Liebe ohne Zweck... in der alles, was wichtig ist, der Akt des Liebens selbst ist, wo also das Sein und nicht das Konsumieren die entscheidende Rolle spielt und wo Liebe der Selbstausdruck des Menschen, die Mitteilung der eigenen Fähigkeiten ist.“

Was Fromm heute jedoch so bekannt macht, ist seine Aktualität, welche an den folgenden sechs Erkenntnissen nachweisbar ist.

Das Marketing als neues Strukturprinzip:
Alles orientiert sich daran, ob sich etwas vermarkten lässt oder nicht. Menschen versuchen mit Bedürfnissen, Wünschen und Not Erfolg zu haben sowie Geschäfte zu machen. Und der Erfolg wird an der Menge der Publikationen gemessen. In psychologischer Hinsicht bedeutet das Orientieren am Marketing, dass nicht das eigene Sein zählt, sondern nur das, was sich vermarkten lässt, jenes was gut verpackt ist. Es kommt also nicht auf den wirklichen Inhalt drauf an, sondern lediglich auf die Vorgabe der Inszenierung. Dies führt, nach Fromm, zu einer Entwertung des Seins und des echten rechtsgültigen Selbsterlebnis des Menschen. Diesen Mangel versucht die menschliche Psyche auf verschiedene Art und Weise auszugleichen. Eine Beispiel dafür ist die Orientierung am Haben und Sein.

Haben und Sein:
Dieser Verlust des Seins äußert sich in Form von innerer Leere, dem Sehnen danach, sich etwas anzueignen, quälender Langeweile, depressiver Antriebslosigkeit oder Panikanfällen und Verlustängste, sobald man auf sich allein gestellt ist. Diesen Mangel an Sein, möchten diese Leute ausgleichen. Menschen, die sozusagen nicht aus sich selbst etwas hervorbringen, versuchen diesen Mangel durch Aneignen zu kompensieren.

Die Bevorzugung inszenierter Wirklichkeit:
Es gibt auch Menschen, die nicht in der Lage sind, die eigentliche Wirklichkeit wahrzunehmen und zu gestalten. Ihr Sein ist somit geschwächt. Wer „von sich aus“ leben kann, erlebt sein Ich stabiler, ist in der Lage, Versagen leichter wegzustecken und verhält sich realitätsgerechter. Die Menschen, die nicht die Wirklichkeit leidvoll, versagungsvoll und mühsam wahrnehmen können, schaffen sich eine inszenierte Wirklichkeit. Solch eine erzeugte Wirklichkeit ist so konstruiert, dass sich die Ich-Funktion weitgehend erübrigt. Solch eine Möglichkeit wird vor allem von der Unterhaltungsindustrie, der elektronischen Medientechnik und der industriellen Produktion gefördert. Künstliche Welten, wie Disneyland sind spannender und aufregender als die Natur, die Familie und die eigenen Freunde. So kommt es auch, dass Menschen Begeisterung an Drogen und hallozino-genen Manipulationen und Wirkstoffen finden.

Kollektive narzisstische Größenphantasien und die Ächtung des Schwachen
Eine weitere Erkenntnis Fromms ist sein Narzissmusgesetz. Die Erkenntnis beruht darauf, dass einige Gruppen dazu neigen, ihr Minderwertigkeitserleben mit kollektiven narzisstischen Größenphantasien auszugleichen. Dass heißt, wenn Menschen unter innerer Leere, Langeweile, und Depressionen leiden, versuchen sie ihren eigenen Mangel an Sein und Eigenvermögen durch phantasierte eigene Großartigkeit zu kompensieren. Die Person inszeniert sozusagen ein Größenselbst, welches das minderwertige Selbsterlebnis vergessen lässt. Diese Menschen brauchen jedoch immer jemanden, auf den sie das eigene Versagen projizieren können. Sie spalten ihren eigenen Mangel an Selbstsein ab und verlagern ihn auf ihre Umwelt, wo sie ihn dann bekämpfen können. Solche Menschen bauen eine große Mauer um sich herum, sodass sie von niemanden kritisiert und in Frage gestellt werden können. Nähe und Verbundenheit finden sie nur zu jenen, die ihre eigene Grandiosität teilen, widerspiegeln und ergänzen.

Gedenktafel, Erich Fromm, Bayerischer Platz 1, Berlin-Schöneberg, Deutschland - OTFW, Berlin / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Die Attraktivität des Leblosen und Dinglichen
Solch eine Faszination am Dinglichen und Leblosen stellt einen Mangel an Selbstsein und Selbsterleben dar. Wer nicht aus seinem Sein und Eigenvermögen lebt, fühlt sich innerlich leblos und sucht demzufolge äußere belebende Stimuli. Diese Menschen identifizieren sich mit Leblosen und lieben alles, was dinglich und leblos ist. Fromm veröffentlichte auch ein Konzept einer nekrophilen (leblos) Grundbestrebung. Alles, was leblos und tot ist, ist attraktiver als das Lebendige. Dies kommt zum Beispiel durch gewaltige Exzesse einzelner Gruppierungen (Hooligans, Rechtsradikale, Terroristen) zum Ausdruck. Die Gruppen üben „grundlos“ Gewalt aus. Solche Menschen finden Faszination am Gewalttätigen. Dies resultiert aus der Unfähigkeit, das Leben zu lieben. Deshalb besteht für sie die Möglichkeit, in der Zerstörung sich selbst zu erleben. Weiterhin existiert unter den Menschen auch die Faszination am Maschinellen. „Wir“ haben herausgefunden, dass die Maschinen fast alles besser machen können. Sie arbeiten exakter, sauberer, zuverlässiger und ohne Ermüdung, Widerwille, Lob und Streicheleinheiten und können auch viel mehr. Somit geschieht es, dass wir versuchen, alles technisch zu realisieren. Diese Faszination für das Dingliche und Leblose stellt eine ebenso große Gefahr für das Leben dar, wie die Gewaltexzesse autonomer / neonazistischer Gruppierungen.

Das Wissen um die Kunst des Lebens
Fromm war sein Leben lang bemüht, an sich zu arbeiten, sowie sein Selbsterleben von Verdrängungen und Projektionen zu befreien. Auf diese Art und Weise wollte er sein Selbstsein erweitern und stärken. Er fand eine Lösungsstrategie zur Bewältigung der von ihm erkannten Fehlentwicklung. Diese besteht darin, den Mangel, aus sich selbst und seinen Eigenkräften leben zu können, zu fühlen, an ihm zu leiden und produktiv zu antworten.
„Das, was lebendig ist, zieht an, und zwar nicht, weil es groß und mächtig ist, sondern weil es lebendig ist.“ Diesen Glaube an das Lebendige spüren selbst heute noch viele Leute und er macht ihnen gleichzeitig Mut bei der eigenen Suche nach der Kunst des Lebens.
„Erich Fromms Bedeutung liegt in der Zeitlosigkeit seiner humanistischen Botschaft.“ (Encarna Teruel, Berlin).
Helmut Johann aus Nürnberg ist der Meinung, dass
„Durch den utopischen Gehalt seiner Schriften ... Fromm die Sehnsucht nach dem „besseren Leben“ wach[hält] und ... Anstöße [gibt], etwas dafür zu tun.“ In dem folgenden Zitat bringt K.-Peter Fritzsche aus Magdeburg die Aktualität Fromms noch einmal deutlich zum Vorschein: „Das Haben dominiert noch das Sein und Freiheit bereitet vielen Bürgern immer noch (oder wieder) Furcht.“
„Solange der Mensch aufgrund der ökonomischen und sozialen Strukturen nicht im Sinne des Seins leben kann, sondern zum Haben getrieben wird, solange wird Fromm von Bedeutung sein und seine Aktualität nicht verlieren. Dies wird insbesondere im nächsten Jahrhundert weiterhin der Fall sein.“ (Werner Reinhardt, Crailsheim).

verfasst von: Michaela G.
Wahlgrundkurs „Jüdische Geschichte und Kultur“ 2001/2002